Lebenslang Ist Nicht Genug
Oktober.«
»Ich denke, ich bleib’ diesmal zu Hause.«
»Kommt überhaupt nicht in Frage. Hör mal, ein paar Stunden an einem kalten Herbstnachmittag zwischen albernen, oberflächlichen Frauen sind genau das Richtige für dich. Ich hab’ mich schon oft gefragt, wie so hohle Köpfe so viel Lärm machen können.«
»Laura...«
»Ja, ich weiß, ich übe schon wieder negative Kritik. Aber dazu sind Clubs wie der von Nancy schließlich da. Es gibt sie, damit wir anderen darüber herziehen können. Ich würde diese Modenschau um nichts in der Welt verpassen. Und du genauso wenig! Also, tu mir den Gefallen und komm mit. Es würde mir keinen Spaß machen, wenn niemand da wäre, mit dem ich über die andern lästern könnte. Bitte. Mir zuliebe.«
Gail nickte stumm. Der 15. Oktober schien sehr weit weg.
Laura spießte ein Stück Tomate auf ihre Gabel und führte es zum Mund. »Hast du schon mal daran gedacht, eine Arbeit anzunehmen?«
»Ich? Was sollte ich denn tun?«
Laura zuckte die Schultern. »Vielleicht könntest du zurück auf die Uni und deinen Abschluß nachholen.«
»Das wär’ne Möglichkeit.«
»Und bis es soweit ist - was machen eigentlich deine Klavierstunden? Hast du vor, wieder Unterricht zu geben?«
»Nein, das kann ich nicht«, antwortete Gail rasch. Der Kellner kam an ihren Tisch, räumte die Salatschüsseln ab und erschien gleich darauf mit den Spaghetti. »Ich hab’ ein paarmal versucht, mich ans Klavier zu setzen und zu spielen, aber nicht mal das bringe ich fertig. Meine Hände fangen an zu zittern. Ich sehe Cindy vor mir...«
»Ich finde, du brauchst eine Beschäftigung, bei der du aus dem Haus kommst.«
»Genau das habe ich mir auch überlegt«, sagte Gail und wikkelte Spaghetti um ihre Gabel. Aber sie wußte, daß sie und Laura keineswegs an dasselbe dachten.
14
Den Rest des Sommers verbrachte Gail zwischen Hausarbeit und ihren Ausflügen nach Newark und East Orange.
Sie fuhr von einer heruntergekommenen Straße zur nächsten und beobachtete dabei die Geschäfte, in die kürzlich eingebrochen worden war; ungefähr so, wie sie sich vorstellte, daß der Täter es vor seinem Überfall gemacht hatte. Prüfend betrachtete sie die Leute, die ein und aus gingen, und alle, die in der Nachbarschaft herumlungerten, immer auf der Suche nach jemandem, auf den die Beschreibung von Cindys Mörder paßte. Anfangs stieg sie fast nie aus dem Wagen.
Um vier Uhr nachmittags war sie stets wieder zu Hause, um rechtzeitig das Abendessen für Jack und Jennifer herzurichten. Wenn ihr Mann und ihre Tochter heimkamen, fanden sie Gail regelmäßig in der Küche, wo sie letzte Vorbereitungen für die Mahlzeit traf. Die beiden hatten keine Ahnung von dem, was Gail tagsüber trieb.
»O Mann, bin ich erschossen«, stöhnte Jennifer eines Abends und ließ sich auf ihren Stuhl in der Küche fallen.
»War wohl’n harter Tag, wie?« fragte Gail, die gerade den Braten auf den Tisch stellte.
»Sieht gut aus«, sagte Jack und bediente sich.
»Hoffentlich schmeckt’s auch«, meinte Gail besorgt. Auf dem Rückweg von East Orange war sie in einen Verkehrsstau geraten und deshalb zu spät nach Hause gekommen. Sie fürchtete, das Fleisch sei in der kurzen Zeit nicht gar geworden.
»Ich weiß nicht, wie Dad das jeden Tag schafft«, sagte Jennifer. »Also die Leute... da gibt’s welche, die können nicht zwei Sekunden lang stillsitzen. Bei andern muß man kopfstehen, um sie zum Lachen zu kriegen, so steif sind die. Manche meinen aber auch, sie seien ein Gottesgeschenk für die Kamera. Wie die sich in Positur werfen, also das müßtet ihr mal sehen! Aber Dad wird mit allen prima fertig. Er hat so wahnsinnig viel Geduld. Er hört den Leuten zu, wenn sie ihm erzählen, welches ihre Schokoladenseite ist und welche Stimmung das Bild einfangen soll, und dann macht er die Aufnahme einfach so, wie er es von Anfang an vorhatte.«
Gail lächelte. Das hörte sich ganz nach Mark an.
»Manchmal denke ich, dieses Bild wird gut, weil die Frau, die er fotografiert, so schön ist. Aber Dad meint, ich soll abwarten. Und dann stellt sich tatsächlich raus, daß die Frau nicht fotogen war. Doch Leute, die gar nicht besonders hübsch sind, lassen sich zum Teil phantastisch fotografieren. Dad sagt, ob einer fotogen ist oder nicht, das sei angeboren.«
Gail setzte sich und nahm ein kleines Stück Fleisch. »Die Arbeit macht dir also Spaß, ja?« Sie war sehr stolz auf ihre Tochter und freute sich, daß Jennifer sich offenbar so
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