Lebenslang Ist Nicht Genug
Anschläge pro Minute gekommen, und davon war noch die Hälfte falsch.«
»Ich kann überhaupt nicht maschineschreiben.«
»Also ohne das kriegen Sie garantiert keinen Job«, sagte Brenda entschieden. »Da nützt Ihnen der Mittelschulabschluß auch nichts. Haben Sie was gespart?«
»Ein bißchen, ja. Für’n paar Wochen reicht’s bestimmt.«
»Haben Sie schon mal daran gedacht, auf’n Strich zu gehn?« Gails Augen weiteten sich. »Sie würden zwar nicht das große Geld machen. Denn wenn wir ehrlich sind, haben wir beide die besten Jahre hinter uns, nicht? Aber Sie sehen gut aus, die Figur ist tadellos. Sie könnten sich leicht’n paar Dollars nebenbei verdienen. Ich könnte Ihnen helfen, Sie ein paar Leuten vorstellen...«
»Ich glaub’, das wär’ nichts für mich.«
Brenda hob die Schultern und packte weiter.
»Hat Roseanne Sie rausgeworfen?«
»Heut’ in aller Früh. Sie meint, ich mach’s zu auffällig. Als ob sie nicht von Anfang an gewußt hätte, wovon ich lebe. Vielleicht ist sie sauer, weil sie keine Prozente bekommt. Oder es stinkt ihr, daß sie keinen Kerl mehr abkriegt, wer weiß?« Brenda lachte. »Ich halte sie ehrlich gesagt für lesbisch. Oder sie hat was mit diesem Köter.«
Gail mußte unwillkürlich an die abstoßenden Bilder in jener »Buchhandlung für Erwachsene« in New York denken, und ihr schauderte. »Wie lange haben Sie denn hier gewohnt?« fragte sie, um das Thema zu wechseln.
»’n paar Monate.« Brenda hatte inzwischen all ihre Sachen im Koffer verstaut und ließ den Deckel zuschnappen. »Wurde sowieso Zeit, daß ich abhaue. Mir ist’s egal, wo ich wohne. Ein Zimmer ist wie das andere.«
»Haben Sie denn keine Freunde?«
»Freunde? Soll das ein Witz sein? Meine beste Freundin sind Sie.«
»Haben Sie sich manchmal mit den anderen Mietern unterhalten?«
»Nur mit den Zahlungskräftigen.«
»Die Leute hier ziehen ziemlich oft um, nicht?«
»So? Ist mir nie aufgefallen.«
»Doch, doch. Der junge Mann im ersten Stock ist allerdings eine Ausnahme. Wissen Sie, wen ich meine? Er wohnt zur Straße raus.«
»Nein, kenn’ ich nicht«, sagte Brenda, ohne nachzudenken.
»Er ist noch sehr jung, höchstens Anfang Zwanzig. Hat einen Bürstenschnitt und guckt immer so unfreundlich.«
»Ach, jetzt weiß ich, wen Sie meinen. Richtig unheimlich, der Kerl, nicht? Ja, den kenn’ ich. Hab’ mal versucht, ihn anzumachen. Aber wie ich ihn frag’, ob er nicht Lust hätte auf’ne heiße
Nummer, da geht der gleich zehn Schritte zurück, als ob ich Lepra hätte! Aber so ist das nun mal, jeder nach seinem Geschmack.«
»Wissen Sie, seit wann er hier wohnt?«
»Wie?« fragte Brenda abwesend. Sie sah gerade im Schrank nach, ob sie etwas vergessen hatte.
»Ich dachte nur, daß Sie mir vielleicht sagen können, wie lange er schon hier wohnt.«
»Woher soll ich das wissen? Als ich einzog, war er jedenfalls schon da. Er ist immer allein, das ist alles, was ich von ihm weiß. Warum interessiert Sie das?« fragte sie, plötzlich mißtrauisch geworden.
Gail lachte. »Er erinnert mich an jemanden, in den ich mal schrecklich verknallt war.« Sie hoffte, Brenda würde ihr diese Lüge abnehmen.
»Nein, wirklich? Na, jedenfalls ist er’s nicht, und Sie hatten früher’nen scheußlichen Geschmack«, scherzte Brenda.
»Halt, haben Sie nichts gehört?«
Gail hielt den Atem an, das Blut pochte in ihren Schläfen. Sie spitzte die Ohren und lauschte gespannt.
»Bleiben Sie hier«, warnte Brenda. »Ich seh’ mal nach.«
Gail ließ sich in den inzwischen leergeräumten Sessel fallen. Wovor fürchtete sie sich? Hatte sie Angst, der junge Mann könne sie belauscht haben? Ihre Hände zitterten, und sie preßte die Hände zwischen die Knie.
»Blinder Alarm«, sagte Brenda, als sie wenige Minuten später zurückkam. »Reine Einbildung von mir, liegt wohl am Alter.« Sie nahm den Koffer vom Bett. »So, ich muß los.« Gail stand auf. »War nett, Sie kennenzulernen, Gail. Vielleicht sehn wir uns mal wieder, wer weiß, die Welt ist bekanntlich ein Dorf.«
»Alles Gute für Sie«, rief Gail ihr nach. Wer wird wohl als nächstes in diesem Bett schlafen? dachte sie.
Sie hörte die Haustür auf- und zugehen, dann kehrte sie in ihr Zimmer zurück.
Ihre Handtasche lag offen da, der Inhalt war auf dem Bett verstreut. Gail begriff nicht gleich, was geschehen war. Fieberhaft durchsuchte sie ihre Brieftasche. Sozialversicherungsausweis, Kreditkarten und Führerschein - alles da, nur das Bargeld
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