Lebenslang Ist Nicht Genug
her. Zögernd setzte sie sich.
»Wie kamen Sie darauf, sie Rebecca zu nennen?« fragte sie und zwang sich, dem Hund zuzulächeln.
»So hieß meine Schwiegermutter.« Roseanne setzte sich neben sie und schaute wie gebannt auf die Mattscheibe. »Rebecca sieht genauso aus wie meine Schwiegermutter. Man braucht einen Hund, wissen Sie, wenn man allein lebt. Besonders in dieser Gegend. Die Männer denken, sie hätten leichtes Spiel mit’ner alleinstehenden Frau. Aber wenn sie Rebecca sehen, nehmen sie sich in acht.«
»Sie leben also allein?« fragte Gail und überlegte, wie alt die Frau neben ihr wohl sein mochte.
»Schon seit sechzehn Jahren«, sagte Roseanne. »Es ist besser so. Mein Alter ging eines Abends weg, um’n Viertelliter Milch zu holen...«
Sie ließ den Satz unvollendet und lauschte für einen Augenblick der Unterhaltung auf dem Fernsehschirm. Als das Programm für eine Werbeeinlage unterbrochen wurde, fuhr sie fort:
»Wenigstens hat er mir die Milch gebracht, ehe er abgehauen ist.« Sie ging in die Küche und nahm den Kessel vom Herd. »So, wollen mal sehen, ob ich noch Teebeutel habe.« Gail sah zu, wie sie in mehreren Schubfächern kramte. »Dacht’ ich’s mir doch! Sie sind allerdings schon ziemlich alt. Aber Tee wird nicht schal, oder?«
»Nein.« Gail lächelte.
»Ich hab’ schon ewig keinen Tee mehr getrunken«, fuhr die Frau fort, während sie einen Teebeutel in eine Tasse fallen ließ und Wasser darübergoß. »Ich hab’ weder Milch noch Zucker. Sie werden ihn schwarz trinken müssen.«
»Das macht nichts. Aber was ist mit Ihnen? Trinken Sie nicht mit?«
»Ich nehme nie was zwischen den Mahlzeiten.« Roseanne hielt Gail die Tasse hin. »Gucken Sie auch die Serie da?« fragte sie mit einer Geste zum Fernseher. Gail schüttelte den Kopf.
»Das ist mir die liebste von allen. Sie können sich nicht vorstellen, was da alles passiert! Ehebruch, Mord, russische Spione - und alles in derselben Familie. Das da ist Lola. Die stiftet immer alle möglichen Leute zu was an. Darum mag ich sie auch am besten leiden. Jedesmal, wenn sie auftritt, wird’s spannend.«
Gail sah, wie die schöne Frau mit dem langen dunklen Haar die Arme um den Nacken eines gutaussehenden Mannes in mittleren Jahren schlang, der einen Arztkittel trug und eine gequälte Miene zeigte.
»Der, dem sie sich da an den Hals wirft, das ist Will Tyrell. Er ist mit Anne Cotton verheiratet, einer Ärztin, die seit der Hochzeit mit ihm lammfromm geworden ist. Früher war sie ganz anders. Will ist ihr vierter Mann in fünf Jahren. Sie hatte einen Nervenzusammenbruch und ermordete Ehemann Nummer drei. Da haben sie ihr dann haufenweise Pillen gegeben, von denen ist sie süchtig geworden. Dann hatte sie’n hysterischen Anfall und war’ne Zeitlang blind, ehe sie Will kennenlernte,
ihn heiratete und so langweilig wurde. Ich hab’ das Gefühl, die werden sie bald rausschmeißen aus der Serie.«
Gail verbiß sich das Lachen, als sie begriff, wie ernst Roseanne ihre Fernsehserie nahm. »Aber diese Lola, das ist echt’n Wahnsinnstyp. Keiner weiß, wo sie herkommt, und sie lebt sehr zurückgezogen. Man sieht nie, wo sie wohnt oder so, aber sie hat immer die tollsten Kleider an, und sie bringt’s fertig, im bodenlangen Nerzmantel mit nichts darunter aufzukreuzen. Dauernd ist sie hinter den Männern anderer Frauen her. Die arme Kleine, der sie zuletzt den Mann weggenommen hat, die hat sich das Leben genommen. Ich möchte wissen, ob sie Anne Cotton auch so loswerden wollen.«
»Ich hab’ mir eine Zeitlang auch solche Serien angeschaut... ›Licht im Dunkel‹ hieß die eine. Und dann war da noch ›Morgen beginnt ein neuer Tag‹.«
»Oh, die hab’ ich früher auch gesehen. Betrügt Erica immer noch ihren Mann, den Richard?«
Gail mußte einen Moment nachdenken. »Ich glaube, ihr Mann heißt Lance.«
»Lance? Was denn, sie hat Lance geheiratet? Diesen wilden Gauner?! Na, da hat sie sich aber angeschmiert. So was, einen netten, anständigen Kerl wie Richard stehenzulassen. Ich meine, mit anderen zu flirten ist ja gut und schön, aber ihn abschieben und Lance heiraten! Na, die verdient, was sie sich eingebrockt hat.«
Gail blickte sich unruhig um. Wieder hatte sie das Gefühl, die Wände rückten zusammen und schlössen sie ein. »Ich muß nach Hause.« Als ihr klar wurde, was sie gesagt hatte, schaute sie Roseanne ängstlich an.
Aber Roseanne war zu sehr in die Probleme von Will Tyrell, Anne Cotton und Lola-wie-immer-sie-hieß
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