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Lebenslang Ist Nicht Genug

Titel: Lebenslang Ist Nicht Genug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Fielding
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»Untersteh dich und weine. Diese verdammte Kiste!«
    Sie ging ein Stück zu Fuß. Aber sie konnte unmöglich bis Livingston laufen. Vielleicht verkehrte ein Bus...

    Sie sah die beiden erst, als sie einen von ihnen beinahe umgerannt hätte.
    »Menschenskind, so passen Sie doch auf, wo Sie hinlatschen! Sie sind schließlich nicht allein auf der Welt.«
    »Verzeihung«, flüsterte Gail und warf einen schüchternen Blick auf die beiden jungen Männer, einer dunkel, der andere - mit ihm war sie zusammengestoßen - blond. Blond und schlank. Es gab so viele davon. Sie begann leise zu weinen, unfähig, den Enttäuschungen dieses Tages noch länger zu trotzen.
    »Nicht doch, so schlimm war’s ja auch wieder nicht«, versuchte der Dunkelhaarige sie zu beruhigen. »Er hat’s nicht so gemeint, ehrlich. Das ist so seine Art, verstehn Sie?«
    Aber Gail konnte nicht aufhören zu weinen, obwohl sie spürte, daß die beiden sie befremdet musterten.
    »Die hat’nen Stich«, meinte der Blonde, als sie weitergingen.
    »Du hättest sie nicht so anschnauzen dürfen«, tadelte der andere.
    Als Gail sich die Tränen abwischte und wieder aufblickte, fand sie sich vor einem Laden für Videospiele wieder. Durch die Schaufensterscheibe konnte sie erkennen, daß drinnen eine Menge Jugendliche an den Geräten spielten, die eigentlich in der Schule hätten sein müssen. Im nächsten Augenblick stand sie im Eingang des Geschäfts und hielt die Tür mit dem Absatz einen Spaltbreit offen. Sie betrachtete die Halbwüchsigen - nicht ein einziges Mädchen war darunter, wie sie nebenbei feststellte -, die verbissen mit den komplizierten Programmen kämpften, sie sah den Ausdruck äußerster Konzentration auf ihren Gesichtern und überlegte, ob wohl einer von ihnen sich je so bei seinen Hausaufgaben anstrengte. Sie lachten; sie fluchten vor Enttäuschung; sie steckten immer wieder Geld in den Schlitz des Automaten. Nach einer Weile spürten sie den kalten Luftzug vom Eingang her und merkten, daß jemand sie beobachtete. Der Lärm verebbte, das Spiel brach ab.
    »He, wollen Sie rein oder raus?« rief ihr ein Junge zu. »Das
zieht wie Hechtsuppe«, schlossen sich mehrere Stimmen dem mutigen Vorreiter an.
    »Kann ich Ihnen behilflich sein?« fragte der Mann an der Kasse, aber Gail ging schon wieder rückwärts hinaus, begleitet vom Gelächter der Jugendlichen.
    »Ihr Sohn spielt wahrscheinlich bei der Konkurrenz«, hörte sie jemanden sagen, ehe die Tür hinter ihr ins Schloß fiel.
    Der junge Mann aus der Pension war nicht im Laden gewesen. Gail hatte schon vorher gewußt, daß sie ihn hier nicht finden würde.
    An der nächsten Ecke blieb sie stehen. Zwei Mädchen, nicht älter als Jennifer, standen mit ausgestrecktem Arm am Straßenrand, den Daumen nach oben. Gail beobachtete sie besorgt. Wußten diese Mädchen denn nicht, wie gefährlich es war, per Anhalter zu fahren? Na, wenigstens waren sie zu zweit. Gail seufzte. Im nächsten Augenblick hielt ein Wagen, in dem drei junge Männer saßen. Die beiden Mädchen stiegen ein. Soviel zur Faustregel, zu zweit sei man sicherer, höhnte ihre innere Stimme, während Gail schon zu der Stelle eilte, wo eben noch die beiden Tramperinnen gestanden hatten. Sie streckte den rechten Arm aus und hielt den Daumen in den Wind. Warum nicht? dachte sie. Man kann nie wissen, wen man auf diese Weise kennenlernt.
    »Kann ich Sie mitnehmen?« fragte eine Stimme hinter ihr.
    Rasch wandte sie sich um. Vor ihr stand einer der Jungen aus dem Videogeschäft. Er war etwa siebzehn, achtzehn Jahre alt, hatte dunkles Haar und trug enge Röhrenjeans, die sich wie eine zweite Haut um seinen hageren Körper spannten. Er betrachtete sie, als wisse er, wer sie sei. Gail fröstelte, aber nicht vor Kälte.
    Die Beschreibung von Cindys Mörder paßte nicht auf ihn, aber das Aussehen eines Menschen ließ sich verändern.
    »Die Busse haben dauernd Verspätung«, sagte sie, während sie neben ihm her zu einem Wagen ging.
    »Wenn Sie an der Haltestelle warten, hält vielleicht eher einer. Wo wollen Sie denn hin?«

    »Nach Livingston.« Sie suchte in seinem Gesicht nach einer Reaktion.
    »Livingston? Das ist’ne ganze Ecke weg. So weit fahre ich nicht.«
    »Sie können mich irgendwo absetzen, wo’s für Sie günstig ist.«
    Sein Auto stand im Parkverbot. Der Junge hatte einen forschen Gang, die Kälte trieb ihn zusätzlich an, und Gail mußte fast rennen, um mit ihm Schritt zu halten. Der Wagen war zweifarbig lackiert, rot und grau,

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