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Lebenslang Ist Nicht Genug

Titel: Lebenslang Ist Nicht Genug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Fielding
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Selbsthilfeverbandes der Opfer von Gewaltverbrechen zu begleiten. Jäh wechselte er das Thema und erzählte, seine Mutter sei von ihrer Reise in den Orient zurückgekehrt. Als Gail gestand, sie habe gar nicht gewußt, daß seine Mutter fort gewesen sei, zuckte er nur die Schultern und sparte sich die Wiederholung dessen, was er seiner Frau in letzter Zeit so oft vorgehalten hatte: sie igele sich ein in ihrer kleinen Welt; und die Kluft zwischen ihnen beiden vergrößere sich unaufhaltsam.
    Sie hätte Jack gern von ihren Nachforschungen erzählt, vor allem von dem Verdächtigen, dem sie auf der Spur war, aber sie fürchtete, er würde ihre Detektivarbeit für zu gefährlich halten und ihr verbieten, sie fortzusetzen. Bestimmt würde er sagen, das sei Sache der Polizei. Deshalb hatte sie geschwiegen. Bevor er in
seine Praxis ging, hatte er ihr noch einmal nahegelegt, ihren Wagen noch vor dem ersten Kälteeinbruch zur Inspektion zu bringen.
    Man könnte fast glauben, dieses Auto hat Ohren, dachte Gail, als sie etwa eine Stunde später erfolglos versuchte, den Wagen zu starten. Der Motor fauchte und spuckte, sprang aber nicht an. »Komm schon«, befahl sie ungeduldig und trat das Gaspedal bis zum Boden durch, womit sie freilich nur erreichte, daß zehn Minuten lang gar nichts geschah, weil zu allem Überfluß auch noch der Motor abgesoffen war. Warum habe ich nur nicht auf Jack gehört, dachte Gail reumütig. Seit Monaten riet er ihr nun schon, den Wagen überholen zu lassen. Sie war drauf und dran, auszusteigen und jemanden um Hilfe zu bitten, als der Wagen wider Erwarten doch noch ansprang. »Gott sei Dank«, seufzte sie und schwor sich, das Auto am Wochenende in die Werkstatt zu bringen.
    Sie war am Morgen nach Newark gerast, hatte sich in fiebrige Erwartung hineingesteigert, aber bei ihrer Ankunft erfahren müssen, daß der Junge seinen Koffer gepackt und sich davongemacht hatte. Seinen Koffer, dachte sie und stellte sich den Schrank und die Kommode vor, die sie durchsucht hatte. Sie hatte keinen Koffer bemerkt. Und doch mußte er einen gehabt haben. Was hatte sie wohl sonst noch übersehen?
    Gail verbrachte den Rest des Tages mit der Suche nach einem neuen Zimmer. Ihre Wahl fiel schließlich auf eine Absteige in der Howard Street, zwei Querstraßen von Roseannes Pension entfernt. Das Zimmer war kleiner als ihr erstes und kostete einen Dollar weniger, aber, wie Roseanne vorausgesagt hatte, ließ es an Sauberkeit zu wünschen übrig. Der Portier, ein störrischer alter Mann mit einem ausgeprägten Sprachfehler, ermahnte sie, keine lauten Partys zu feiern, war jedoch ansonsten nicht sehr gesprächig. Am Nachmittag lag sie auf ihrem Bett und hörte durch die dünnen Wände, wie nebenan ein Mann und eine Frau miteinander stritten. Ob er wohl auch hier gelandet war? Sie hatte Portiers
und Pensionswirte im ganzen Viertel befragt, doch die meisten hatten behauptet, ihn nicht zu kennen. Manche räumten ein, er habe vielleicht ein Zimmer bei ihnen gemietet. Er sei frühestens heute morgen eingezogen, hakte Gail nach. Er sei leicht zu erkennen: jung, schlank, extrem kurzer Bürstenhaarschnitt. Vielleicht, wiederholte man obenhin, ohne sich die Mühe zu machen, genauer zu überlegen.
    Als Gail gegen drei Uhr nachmittags zu ihrem Wagen zurückkehrte, lag die Enttäuschung wie eine Zentnerlast auf ihren Schultern. Wieder sprang der Wagen nicht an. »Fabelhaft!« Sie lächelte, um die aufsteigenden Tränen zurückzudrängen. »Einfach fabelhaft.« Sie trat dreimal aufs Gas, diesmal jedoch ganz sacht, damit der Motor nicht wieder absoff. Aber sie wartete vergeblich auf das vertraute Tuckern. Der Motor war kalt und tot.
    »Mein Wagen springt nicht an«, erklärte sie dem Parkwächter. »Was soll ich machen?«
    »Den AAA anrufen«, riet er.
    »Ich kann nicht warten, bis die kommen. Ich muß heim, ich hab’s eilig.«
    Der Mann hob ungerührt die Arme. Was hatte sie auch erwartet? Es war nicht sein Auto. Es war nicht sein Problem. »Kann ich den Wagen über Nacht hier stehenlassen?«
    »Macht fünf Dollar.«
    »Ich bestell’ den AAA morgen früh her«, versprach sie. Ihm war es offenbar völlig gleichgültig, was sie tat, solange sie die Parkgebühr bezahlte. Sie gab dem Mann, was er verlangte, und trat hinaus auf die Straße. Ein eisiger Wind peitschte ihr ins Gesicht. Es galt, auf dem schnellsten Weg nach Hause zu gelangen. »Fang bloß nicht an zu heulen«, sagte sie laut, während sie vergeblich nach einem Taxi Ausschau hielt.

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