Lebenslang Ist Nicht Genug
Tisch. Zu Mikes Gedeck gehörten zwei Portionen Milch.
»Sie haben die Milch für die Dame vergessen«, sagte Mike.
»Sie trinkt ihren Kaffee schwarz«, antwortete Harry und ging.
»Er scheint dich besser zu kennen als ich.« Mike versuchte nicht mehr, seine Verwirrung zu verbergen.
»Wir sind zusammen zur Schule gegangen.«
Es dauerte einen Moment, ehe Mike Cranston begriff, daß Gail ihn auf den Arm genommen hatte, aber auch als der Groschen gefallen war, lächelte er nicht. »Gail, was ist los? Was machst du hier?«
»Ich trinke mit einem Freund Kaffee.« Ihr Blick sagte ihm, daß er nicht mehr aus ihr herausbekommen würde.
»Na schön, wie du willst.« Er trank einen Schluck, verbrannte sich die Zunge und goß rasch etwas Milch nach. »Hör mal«, begann er erneut, »warum hast du nie abgehoben, wenn Laura bei euch anrief? Sie hat sich diesen Streit zwischen euch furchtbar zu Herzen genommen. Du weißt, daß sie dich nie mit Absicht verletzen würde. Sie hat dich sehr, sehr gern. Könntest du sie nicht anrufen und ihr sagen, die Sache sei erledigt?«
»Nein, das kann ich nicht.«
»Warum denn nicht, um Himmels willen?«
»Weil die Sache für mich nicht erledigt ist.«
»Sie wollte dir doch nur helfen.« Mike fuhr fort, gewandt den Standpunkt seiner Frau zu vertreten: »Seit dem Tag, an dem dieses schreckliche Unglück geschah, hat sie nichts anderes versucht, als dir zu helfen, dir deinen Verlust zu erleichtern. Sie hatte Cindy wirklich lieb, Gail. Und du bedeutest ihr so viel. Sie würde sich eher die Hand abhacken, als dir absichtlich weh zu tun.« Seine Stimme versagte.
»Ich dachte, Anwälte dürfen ihre Gefühle nicht zeigen?« Gail griff über den Tisch hinweg nach seiner Hand und drückte sie.
»Ich spreche zu dir nicht als Anwalt, sondern als Freund.«
»Dann möchte ich dich bitten, ein paar Minuten lang als Anwalt mit mir zu reden. Es gibt einiges, worüber ich mir Klarheit verschaffen möchte.«
»Wirst du über das nachdenken, was ich dir gesagt habe?«
Gail nickte. »Wirst du meine Fragen beantworten?«
»Schieß los.«
»Was geschieht mit jemandem, der wegen Mordes verhaftet wird?«
»Das kommt ganz auf den Betreffenden an.« Die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen.
»Gibt’s denn da unterschiedliche Verfahrensweisen?«
»Tja, eine Menge Faktoren müssen berücksichtigt werden. Handelt es sich zum Beispiel um ein großes Tier bei der Mafia, dann wird er wahrscheinlich schon nach ein paar Stunden gegen Kaution freigelassen.«
»Selbst, wenn es um Mord geht?«
»Falls das Gericht eine Million als Kaution verlangt, und du’ne Million auftreiben kannst, muß man dich auf freien Fuß setzen, auch bei Mord.«
»Ich dachte, Mord sei von einer solchen Regelung ausgenommen.«
»Ich sag’ ja, es kommt drauf an. Wenn die Frau des Gouverneurs den Zeitungsjungen erschießt, hat sie weit größere Chancen, gegen Kaution freizukommen, als umgekehrt. Dann sind da noch die sogenannten ›mildernden Umstände< zu berücksichtigen. Insofern kann man zu dem Thema kaum eine allgemeingültige Auskunft geben.«
»Na schön. Aber was ist mit einem ganz gewöhnlichen Mörder, jemand, der weder Beziehungen hat noch Geld, und der auch keine ›mildernden Umstände‹ für sich in Anspruch nehmen kann?«
»Nun, der kommt bis zu seiner Verhandlung in Untersuchungshaft. Es sei denn, er ist aufgrund seines Geisteszustandes nicht in der Lage, einen Prozeß durchzustehen. In dem Fall würde er in eine staatliche Anstalt überstellt, bis man ihn juristisch für voll verantwortlich erklärt.«
»Und wenn das nicht geschieht?«
»Bleibt er in der Anstalt.«
»Für immer?«
»Möglicherweise, ja. Allerdings ist es wahrscheinlicher, daß man ihn irgendwann für prozeßtauglich erklärt; sofern er nicht völlig umnachtet ist.«
Gail lehnte sich zurück. »Und was geschieht dann?«
»Also inzwischen hat der Betreffende einen Rechtsbeistand, entweder einen Anwalt eigener Wahl oder einen vom Gericht bestellten Pflichtverteidiger, und mit dem gemeinsam bereitet er dann seine Aussage vor.«
»Ob er sich schuldig bekennen soll oder nicht?«
Mike lachte. »Ganz so einfach ist das nicht. Man muß unterscheiden zwischen vorsätzlichem Mord, Mord im Affekt, fahrlässiger Tötung, vorsätzlicher Körperverletzung mit tödlichem Ausgang; zwischen nicht schuldfähig wegen geistiger Umnachtung und verminderter Schuldfähigkeit aus dem gleichen Grund. Auch Notwehr käme in Betracht. Und so weiter, und so
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