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Lebenslauf zweiter Absatz

Lebenslauf zweiter Absatz

Titel: Lebenslauf zweiter Absatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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mir. Sie gaben sich alle Mühe und fanden eine ganze Menge.
    Die Dünne mit den Kulleraugen sagte, hinter dem Geflügelhaus hänge eine große Leiter.
    »Du lieber Gott«, sagte ich zu der Mamsell, »die glaubt doch nicht etwa, daß ich mich in Ihrem Dorf hier auskenne. Wo ist denn das?«
    »Geh mit, Anna«, sagte die Mamsell, »zeig dem Herrn Elektrischen die Leiter!«
    Allmächtiger, sie hieß Anna! Ich kannte nur eine Anna, und das war meine Tante. Sie war Schneiderin und so dick, wie die drei Mädchen mit fünfzig sein würden. Bei ihr kam das vom vielen Sitzen. Sie saß ihr Lebtag an der Maschine, die sie sich an das Fenster gerückt hatte, und kontrollierte, während sie nähte, die Straße. Wenn sie mich dort unten sah, klopfte sie scharf an die Scheiben und straffte energisch ihren Oberkörper. Ich wußte, daß sie dazu »Brust raus!« schrie. Sie konnte nie vergessen, daß ihr Mann großherzoglich-mecklenburgischer Schwimmlehrer im 2. Füsilierregiment gewesen war.
    Dünn und piepsig sein und dann Anna heißen, das ging eigentlich gar nicht.
    Sie lief vor mir her und hielt den Kragen ihres Kittels fest zu.
    »Sie können den Mund nicht halten, was?« sagte ich. »Wieso?«
    »Na, die andern haben doch auch gewußt, wo die Leiter ist. Müssen Sie sich mal merken: Wer was weiß, muß laufen.«
    »Und Sie sind schlau, nicht?«
    »Ich hab bloß einen guten Meister«, sagte ich, »bei dem hab ich’s gelernt. Als ich noch ein dämlicher Stift war, brauchte ich nur Gips anzurühren. Jetzt läßt er sich überhaupt nicht mehr bei der Arbeit sehen.«
    »Gestern war er hier«, sagte sie.
    »Ja, zum Eierholen.«
    Wir hätten lieber ruhig sein sollen, denn jedesmal, wenn man den Mund aufmachte, tat es weh an den Zähnen, als habe man unvorsichtig tief in eine Eiswaffel gebissen.
    Der Wind fuhr wirbelnd über den Hof und ließ ein paar Schneeflocken tanzen.
    »Das Frühstück war gut«, sagte ich, »kriegt ihr auch so eins?«
    »Wir gehören doch zum Gut«, sagte sie.
    »Die Mamsell ist in Ordnung, was?« fragte ich.
    Sie nickte.
    »Gehn Sie man wieder zurück«, sagte ich, »ich finde die Leiter schon.«
    Sie lief aber weiter. Erst hinter dem großen Kuhstall blieb sie stehen.
    »Frau Soebenbrodt würd’s nicht leiden. Sie sagt: ›Alles wie ’s Kartoffelschälen! Immer gründlich, sonst schmeckt es keinem.‹«
    »Sie könnten im Kuhstall warten«, sagte ich, »da ist es schön warm.«
    »Frau Soebenbrodt sagt: ›Mit Lügen kriegt man keine Gans nicht fett.‹«
    »Und was sagt Frau Soebenbrodt noch?«
    Sie strich eine Haarsträhne aus der Stirn und ging weiter. »Die ist schwer«, sagte sie und zeigte auf die große Leiter. Sie wollte tatsächlich mit anfassen.
    »Nee«, sagte ich, »hängen Sie sich da nicht mit ran, die hat’s so schon in sich.«
    Sie wischte wieder nach der Haarsträhne. Ich setzte die Leiter noch mal ab; hier war es windgeschützt. »Und wie ist die Gnädigste?«
    »Och«, sagte sie.
    »Und er?«
    »Er ist krank. Er hat Gicht, erbliche. Seit Krieg ist. Frau Soebenbrodt sagt, im Krieg taugt die schlechteste Krankheit was.«
    »Kommt er denn damit durch?«
    »Muß wohl«, sagte sie, dann drehte sie sich um und liefzum Gutshaus hinüber. Einmal blieb sie noch stehen und rief, sie wolle mir Bescheid sagen, wenn Mittag sei.
    Die Leiter hatte wirklich ein gutes Gewicht. Ich hätte sie gern mal abgesetzt. Wenn der Wind sie zu fassen kriegte, drehte er sie, wie er wollte. Ich hörte schon, wie sie mir beim Mittagessen raten würden, zum Leitertragen Sand in die Taschen zu tun. Mastgänse!
    Die Kleine nicht. Die war zu dünn. Augen hatte sie wie der Hund im Märchen vom Feuerzeug, so groß.
    Die Schellen an der Steigeleitung waren vollständig verrostet. Mit dem Schraubenzieher war überhaupt nichts mehr zu machen. Ich mußte die meisten Schraubenköpfe abmeißeln. »Schläge sind für alles gut«, sagte mein Meister immer. Der hatte auch immer einen Sack voll Sprüche parat. Er sollte sich mit Mamsell Soebenbrodt zusammentun.
    Aber er redete eigentlich immer nur von Schlägen. Zugelangt hatte er auch in der Lehrzeit nicht. Nur einmal war er handgreiflich geworden. Seine Frau hatte mich mit einem großen Wassereimer in den Wald am Sonnenberg geschickt; ich sollte Pfifferlinge sammeln. Ich hatte gefunden, daß das nicht Elektrikerarbeit sei, und war im Wald nur so rumgestrolcht. Die Pilze bedeckten gerade den Boden des Eimers, und mein Meister, der sich schon auf ein feines Mittag gespitzt hatte,

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