Lebenslauf zweiter Absatz
man eine Geschichte erzählt, ja eigentlich ist er es allein, dem man sie erzählt. Und wenn man das Gefühl hat, ihm werde eine, die man vortragen wollte, nicht ein einziges Mal die Augenbraue hochtreiben, dann soll man es aufgeben und sich, wenn nicht gleich nach einem anderen Beruf, so doch wenigstens nach einer anderen Geschichte umsehen. Hüten freilich muß sich der Schreiber davor, daß die von ihm so kunstvoll erzielte Skepsis seines Lesers in Unmut umschlage, eine Gefahr, die nicht zuletzt immer dann zwischen den Zeilen lauert, wenn einer vom Erzählen ins Meditieren und Reflektieren verfällt und etwa, um ein Beispiel zu nennen, anstatt unverzüglich zu berichten, wie sein Vater Gold gefunden hat und was dann geschehen ist, belehrend ins Stocken gerät.
Darum sei, was nun einmal gesagt werden muß, in aller Kürze gesagt: Ich neige zu der immer mehr um sich greifenden Auffassung, daß zur Unterhaltung Aufgeschriebenes oder auf Bühnen Vorgeführtes stutzen machen, glauben machen soll, man habe nicht recht gehört oder gesehen. Literatur – und ich bin mir der Unbescheidenheit meiner Wortwahl in diesem Zusammenhang durchaus bewußt –, Literatur muß sich auf den ersten Blick wie ein Druckfehler ausnehmen.
Und nahm sich nicht zumindest das Wort »Wochen lohn « in jenem in drei Pünktchen auslaufenden Satz, hinter dem sich der Zeigefinger der Theorie erhob, wie ein Druckfehler aus? Hatte man denn in der Geschichteeines Goldsuchers die Erwähnung so ordentlich-langweiliger Dinge wie Wochenlöhne erwarten können? Schickt sich das vielleicht?
Wenn von einem Goldsucher die Rede ist, so will man einen Prospektor in der zitternden Ungewißheit, ob er jemals sein Dorado finden werde, aber will man auch einen, der mit beiden Beinen beruhigend fest auf einer Gehaltsliste steht? Will man einen Kolumbus mit Lohntüte? Ich zweifle sehr.
Schon nicht mehr zweifle ich, ob es ein Leser ohne den heftigsten Augenbrauenruck hinnimmt, wenn geschrieben steht, der Goldsucher habe sein durch festen Sold gesichertes Auskommen zusätzlich durch den Erlös aus gelegentlichen Blei-, Zink-, Kupfer- und Messingfunden aufbessern können. Schließlich hat jeder von uns in der Schule schon gelernt, daß Messing ein Kunstprodukt, eine Legierung ist und nicht in der Natur vorkommt. Und wenn wir es uns auch gefallen lassen, daß uns einer erzählt, ein Schürfer sei auf Thyminaplusquamphosphat gestoßen – wir lassen es uns gefallen, obwohl wir wissen, daß es gar kein Thyminaplusquamphosphat gibt; wir lassen es uns gefallen, weil wir ja für künstlerische Freiheit sind –, bei Messing hören der Spaß und die Freiheit auf. Goldsucher können auf Blei und Kupfer und alles mögliche stoßen, nicht aber auf Messing. Ehe der aufgebrachte Leser ganz das Heft in die Hand nimmt, möchte ich es wieder an mich bringen. Schließlich habe ich ja die Geschichte angefangen und nicht er. In dieser Geschichte bestimme ich. Und ich sage: Er hatte recht, als er die Augenbrauen hochzog, aber nun fängt er an, nicht mehr recht zu haben. Woher weiß er denn, wo mein Vater neben Blei, Zink, Kupfer – und dem Gold natürlich –Messing gefunden hat? Habe ich etwa gesagt, mein Vater sei in mexikanischen Wüsten oder sibirischen Bergen herumgeirrt? Kein Wort davon. In diese Landstriche ist der Leser abgewandert, kaum daß von Goldsuchen die Rede gewesen ist. Die Phantasie ist mit ihm durchgegangen.
Es handelt sich aber in dieser Geschichte nicht um phantastische Dinge; es handelt sich nur darum, daß mein Vater Gold gefunden hat und daß wir uns alle sehr darüber gefreut haben, weil das doch etwas anderes war als immer nur Blei, Zink und Kupfer und Messing.
Ohne nach Vollständigkeit streben zu wollen, möchte ich doch wenigstens erwähnen, daß mein Vater bei seiner Suche auch nichtmetallische Werte zutage förderte, Holz der verschiedensten Arten zum Beispiel und auch leere Flaschen.
Ich hoffe, daß inzwischen jedermann gewarnt genug ist und nicht versucht, hinsichtlich der Flaschen Zweifel anzumelden. Sollte ein Unbelehrbarer es dennoch tun, so würde ich ihm die These entgegenschleudern: Wo Messing ist, da sind auch leere Flaschen. Ebensogut könnte ich sagen: Wo Messing ist, da sind auch tote Kanarienvögel, verbrannte Krawatten, fabrikneue Stilleben, jahrgangweise gebündelte Kirchenanzeiger, gläserne Augen mit zerkratzten Pupillen, Emailschilder, auf denen »Vor dem Hunde wird gewarnt!!!« steht oder »Hier werden Ohrlöcher gestochen!«, und
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