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Lebenslauf zweiter Absatz

Lebenslauf zweiter Absatz

Titel: Lebenslauf zweiter Absatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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suchten, und als die Deerns rausgehn, sag ich noch, sie solln man die Augen aufmachen, der junge Mann hätt seine Zange verloren, und die andern machen Witze, und die Anna fängt an zu suchen und sagt, die olle Zange wäre Ihnen furchtbar wichtig und sie würde sie schon finden. Es war wohl um einsen rum, als ich sie raufkommen hörte, und heut morgen sah sie wie Buttermilch und Spucke aus.«
    Die große Küche war ganz leer. Das Licht der Herdlampe drang matt durch den Dampf, der aus einem eisernen Kessel stieg. Da war nichts mehr von der Wärme von gestern und nichts von dem Licht der Kerze, die Anna mir gehalten hatte. »Ich bin dumm«, sagte ich zu der Mamsell, die mich nur ratlos ansah. Durch das Fenster, dessen Ränder noch frostweiß waren, sah ich die schrundige Fläche des zugefrorenen Gutsteiches, und einen Augenblick lang dachte ich, ich müßte die Zange aus der Tasche nehmen und sie durch das Fenster hinaus auf den Teich werfen, aber ich schämte mich vor der Mamsell, und ich wußte auch, daß es keinem genutzt hätte.
    »Wo ist Anna jetzt?« fragte ich.
    »Sie ist wieder auf dem Vorwerk«, sagte Frau Soebenbrodt, »sie war ja nur wegen der Wäsche gestern hier, sie arbeitet sonst auf dem Vorwerk.«
    »Und wo ist das Vorwerk?«

GOLD
    Als mein Vater das Gold gefunden hatte, freuten wir uns alle sehr. Er fand so selten Gold. Genauer gesagt, hatte er noch nie welches gefunden. Aber er war immer wieder hinausgefahren, denn er war von jener zähen Gläubigkeit, aus der man Kirchenheilige macht. Nur daß die seine auf Irdisches gerichtet war.
    Immer wenn ich von einem großen Manne lese, er habe um seiner Sache willen nicht Ruhe gekannt bei Tag oder Nacht, muß ich denken: Na und? Falls es einen groß macht, daß er schon vom Schweiße dampft, wenn gerade die Sonne aufgeht, und daß er sich auch im Mondlicht immer noch einmal in die Hände spuckt, dann war mein Vater groß.
    Je länger ich mich in der Heroengeschichte umtue, um so deutlicher wird mir, daß mein Vater da hineingehört. Stoße ich etwa auf die Wendung »Ihm ist es nicht an der Wiege gesungen worden …« oder »Der Erfolg fiel ihm nicht in den Schoß«, so kann ich nur fragen: Wenn von da die Größe kommt, wie steht es dann um meinen Vater? Hat ihm einer etwas von dem Goldklumpen in die Wiege gesungen, ist ihm das Gold vielleicht in den Schoß gerollt?
    Ich hoffe, der Ton, in dem ich die Frage stellte, hat sie erledigt.
    Jenen aber, denen es an Feinhörigkeit mangelt, sage ich es ganz deutlich ins Ohr: Der goldene Batzen, den mein Vater schließlich fand, war puren Fleißes Preis.
    Er war der Lohn für vielmal hundert Tage voll aufreibender Wachsamkeit, er war der sauer verdiente Fund nach zermürbend langem Wünschelrutengang, er war alles andere als ein Geschenk des Himmels, er war nicht Gabe, sondern Ergebnis.
    Und darum freuten wir uns alle so, als mein Vater das Gold gefunden hatte.
    Nichts ist niederdrückender als der Gedanke an Sisyphus; nichts ist erhebender als die Geschichte des Kolumbus, oder sagen wir vorsichtiger, als jener kleine Abschnitt der Geschichte des Kolumbus, da die vom Salzwind verklebten Augen des Seepfadsuchers Indien erschauten. Wen schert es heute noch – beinahe hätte ich gesagt: wer weiß heute noch –, daß des Kolumbus Indien gar nicht Indien war; wer, außer einigen Dramatikern, die es immer wieder nach Aufdeckung gelüstet, wollte darauf heute noch herumreiten?
    Kolumbus hat Indien gefunden und mein Vater Gold.
    Wie ich das bisher Geschriebene überprüfe, erblicke ich den möglichen Ansatzpunkt zu einer Legende: Die Meinung könnte sich bilden, mein Vater habe vom Antritt seiner Reise bis zu ihrem glückhaften Ende (glück haft in dem Sinne: Jeder ist seines Glückes Schmied) von nichts anderem als von der Hoffnung gelebt.
    Es gibt zu viele Mären dieser Art, als daß ich den faden Ehrgeiz haben könnte, ihnen eine weitere hinzuzufügen.
    Hoffnung, sage ich daher, Hoffnung kann treiben, spornen, ja peitschen, aber satt macht sie nicht. Satt machten meinen Vater und uns seine gelegentlichen Funde an Blei, Zink, Kupfer und Messing und sein fester Wochenlohn …
    Niemand, dem es über dem letzten Satz die Augenbrauen hochzieht, braucht sich dessen zu schämen, bestätigtdiese Skepsis andeutende Muskelbewegung doch nur, daß er kein sklavisch dem Buchstaben ausgelieferter Worteschlucker, sondern ein idealer und das heißt ein hellwacher Leser von Urteil ist.
    Er ist der Mann, mit dem man rechnen muß, wenn

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