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Lebenslauf zweiter Absatz

Lebenslauf zweiter Absatz

Titel: Lebenslauf zweiter Absatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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auf die Idee gekommen ist, nach unseren Äpfeln zu greifen, läßt sich nicht mehr feststellen. Sicher ist aber, daß mein Vater den zwölfstimmigen Ruf »Höret meine Stimme und erwachet!« vernahm und in »drei, pausenlos miteinander verbundenen Sätzen« (Kr.) unter Mitnahme des Golfstocks an den Zaun eilte und sich des räuberischen Paares annahm. Beethoven hat den Vorgang etwas schönfärberisch als »lustiges Zusammensein der Landleute« beschrieben, während Kr., schon etwas deutlicher, von einem »leise huschenden Staccatothema mit kecken Vorschlägen«, von einem »kraftvollen, männlichen Bauerntanz« spricht und davon, daß eine »Meister hand mit den einfachsten Mitteln überaus anschaulich das Toben, Blitzen, Donnern eines heftigen vorüberziehenden Sommergewitters« gestaltet habe.
    Kenner natürlicher Verhältnisse werden bemerken, daß sich das Zitat hier gegenüber den tatsächlichen Vorgängen etwas spröde und sperrig verhält; die bisher beobachtete Stimmigkeit geht an dieser Stelle verloren, wenn man bedenkt, daß zur Reifezeit von Boskopäpfeln an Sommergewitter nicht mehr zu denken ist. Doch schon in der nächsten und letzten Phase kommt es erneut zu schöner Kongruenz zwischen Zitat und Geschehen: Während sich die gestraften Diebe davonmachten, setzte sich meinVater wieder in seinen Friseurstuhl und hatte »frohe und dankbare Gefühle nach dem Sturm« (Beethoven). Dann schlief er ein.
    Soweit die Sache mit den beiden Schellenbäumen, über die nur berichtet wurde, um zu beweisen, daß mein Vater sich im allgemeinen zu helfen wußte, wenn er bei seiner Suche nach dem Eigentlichen, dem Gold natürlich, auf Dinge stieß, von denen andere gemeint hätten, sie würden sich nicht ohne weiteres in ein gewöhnliches Dasein fügen lassen.
    Nun höre ich schon den Einwand, mein Vater hätte der Obstmauserei auch mit weniger bizarren Methoden, mit konventionellen Mitteln steuern können; ein Hund etwa hätte denselben Dienst getan. Wer so spricht, zeigt nur an, wie wenig er doch von meinem Vater weiß und daß er ihm auf sein Wesentliches noch nicht gekommen ist, darauf nämlich, daß er ein Künstler war, und zwar einer von jener absonderlichen Art, der es um das Wie mehr zu tun ist als um das Was.
    Damit keine Mißverständnisse aufkommen: Er war natürlich nicht so albern, sich, bevor er eine Fahrt antrat, den Rucksack voll Steine zu packen, damit er auch ja etwas hätte, was er sich in den Weg legen könnte, ja, ich glaube, er hätte das Gold, das er nach so vielen Mühen schließlich gefunden hat, allenfalls auch genommen, wenn man es ihm ins Haus gebracht hätte, aber – und das ist es, worauf ich hinauswollte, als ich von seinem Künstlertum sprach – Spaß hätte es ihm nicht gemacht.
    Nehmen Sie nur, wenn Ihnen die Schilderung der Mühsal, welche dem Goldfund vorausgesetzt war, oder wenn Ihnen die Geschichte der beiden Schellenbäume nicht genügt, die Sache mit der gestohlenen Ziege, diebesser als alle anderen Geschehnisse die Frage beantworten hilft, warum meines Vaters Weg mit eiserner Logik an die Lagerstätte des kostbaren Metalles führen mußte.
    Die Ziege genoß in unserem Haushalt insofern eine Sonderstellung, als mein Vater sie nicht gefunden, sondern rechtens erworben hatte. Ohne einer gewissen, fast anrüchigen Theorie das Wort leihen zu wollen, muß ich doch bekunden, daß es mir heute, da die Zeit einen weiten Abstand zwischen mich und die Ziege gelegt hat, leichter fällt, ohne Zorn von dieser Kreatur zu sprechen. Damals haßte ich sie, denn ich mochte keine Ziegenbutter, war aber dessenungeachtet gehalten, sie nicht nur zu essen, sondern auch herzustellen.
    Ich will niemanden mit einer detaillierten Schilderung der Technologie des Herstellungsprozesses langweilen – obwohl ich nicht einzusehen vermag, warum der Ziegenbutter nicht recht sein sollte, was Edelstahl oder Eiergraupen billig zu sein scheint –, ich will nur die notwendigen Voraussetzungen zum Verständnis der Situation schaffen. Die Ziegenbutter kostete kaum mehr als meine Zeit und Kraft; sie stellte sich also, da ich noch ein unmündiger Knabe war, äußerst billig. Freilich setzte ihre Gewinnung Geduld und intime Kenntnis gewisser Naturgesetze voraus. Eines dieser Gesetze lautet: Fett schwimmt oben.
    Einmal im Besitz des Geheimnisses, war es mir ein leichtes, den Rahm von der in irdenen, mit einem in Blau gehaltenen Zwiebelmuster bemalten Satten aufbewahrten Milch abzuschöpfen. Ich versammelte ihn in einem

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