Lebenslauf zweiter Absatz
knebellose Wasserhähne. Da diese aber meistens aus Messing sind und die These demnach lauten würde: Wo Messing ist, da ist auch Messing, wollen wir die Wasserhähne wieder streichen. Nur das Gold wollen wir noch hinzufügen, das Gold, das mein Vater dort, wo Messing und all das andere war, gefunden hat, worüber wir uns übrigens alle sehr gefreut haben.
Der Leser, mit dem ich rechnete, als ich diese Geschichte anfing, der intelligente Leser also, wird inzwischen längst wissen, wo mein Vater das Gold gefunden hat, und er wird beleidigt sein, wenn ich das Überflüssige ausspreche. Aber er möge bedenken, daß stets auch ein paar andere mitlesen, solche, denen man immer sagen muß, was man sagen will. Denen sage ich (die anderen können bis zum nächsten Absatz pausieren): Mein Vater … aber nein, es geht wirklich nicht; ich setze den Fuß wieder nieder, den Fuß, der schon angehoben war zum Schritt hinüber ins platte Land, ins Land der Plattheiten; ich habe mich entschieden, es mit den Kennern zu halten und den Zorn jener nicht zu fürchten, die fortan mit einem weiteren Rätsel werden leben müssen. Doch den letzteren zum Troste sei gesagt, daß der größte Spaß auf dieser Welt von ihren Rätseln herkommt. Wo und was wären wir denn, wenn wir nichts zu raten hätten? Und so will ich denn den längst überfälligen Sinnspruch formulieren: Leben heißt Nüsseknacken. Oder präziser noch: Der Mensch – ein Nußknacker!
Obzwar vertraut mit der meisten Leser Verlangen nach fortschreitender Handlung, nach erzählerischem Sauseschritt durch die Niederungen des Daseins und über seine Höhen hin und obwohl bekannt mit ihrer Abneigung gegenüber Autoren, die sie am Arm packen und mit ihnen gleichsam immer denselben öden Gedankengang auf und nieder rennen, gestatte ich mir doch noch einen wenige Zeilen währenden Aufenthalt: Es ist nicht nur die Rücksicht gegenüber den anderen, die uns schweigen heißt vom Unnötigen, es ist auch Rücksicht auf uns selbst. Wir langweilen uns nicht gerne.
Doch fort nun wieder in den trägen Zug der Erinnerungen.
Mein Vater hatte also zu unser aller Freude Gold gefunden, und obwohl er und wir schließlich jeden Tag damit hatten rechnen müssen, traf es uns doch beinahe unvorbereitet.
Das Gold erwies sich als ein Fund von neuer Qualität. Mit allem anderen war mein Vater kurzhändig fertig geworden; aber diesmal gab es Schwierigkeiten. Dabei hatte er doch wahrhaftig schon Probleme gelöst, von denen ich nicht weiß, ob andere sie so ohne weiteres bemeistert hätten. Nehmen wir nur die Sache mit den beiden Schellenbäumen.
Mein Vater fand einen Schellenbaum. Einen, nicht zwei, obwohl die ankündigende Bemerkung das hatte vermuten lassen müssen. Wenn auch das Erfahrungsmaterial, mit dem ich hier operiere, vergleichsweise spärlich ist, würde ich überhaupt annehmen, daß man nur äußerst selten zwei Schellenbäume findet. Mein Vater fand einen.
Zum Problem reicht einer auch völlig: Was macht man mit einem Schellenbaum?
Mein Vater löste die Frage auf Anhieb. Er rammte das typisch militärische – weil ebenso prächtige wie einfältige – Instrument in ein Erbsenbeet und hatte eine gleich ungewöhnliche wie wirksame Vogelscheuche. Ihre Wirkung beruhte auf dem Ungewöhnlichen. Wenn nämlich die protzig kolorierten Roßschweife des martialischen Instrumentes im Winde wehten, versammelte sich alsbald eine erwartungsfrohe Vogelschar unter ihnen.
Vorwitzige könnten einwenden, dies sei ja nun nicht gerade die Bestimmung einer Scheuche, aber man wirdihnen entgegnen können, daß die Vögel vor lauter nach oben gerichteter Hoffnung gar nicht auf die Idee kamen, sich mit dem Erbsensamen unter ihren Füßen zu befassen, und außerdem ist die Geschichte ja noch nicht zu Ende.
Wenn nämlich so ziemlich alles, was in der näheren Nachbarschaft Flügel hatte, unter den Pferdesymbolen jiepernd beisammen war, griff mein Vater nach Schleuder und Kieselstein und schoß … nein, natürlich nicht auf die hundert Spatzen, sondern gegen einen der Metallstreifen des in den Schellenbaum eingebauten Xylophons – mit Vorliebe schoß er auf einen, von dem er behauptete, er töne in cis-Moll.
Und ihr mögt mir glauben: die gleichen Vögel, die eben noch darauf gepfiffen hatten, daß den Schweifen zu vollständigen Pferden einiges fehlte – in der Art der auf moderne Bühnenbilder geeichten Theaterbesucher, die ja auch einen in Kreide gemalten Perpendikel für eine ganze Standuhr zu nehmen
Weitere Kostenlose Bücher