Lebenslauf zweiter Absatz
bereit sind –, die gleichen Vögel erstarrten, sobald der sogenannte cis-Moll-Ton erklang, überlegten offenbar und suchten Roßschwänze und sogenannten cis-Moll-Ton miteinander in Einklang zu bringen, erkannten, daß dies unmöglich sei, und schwirrten davon.
Damals wurde ein künstlerischer Leitsatz geboren, der mich durch mein ganzes Werk begleitet hat: Pferdeschwänze und sogenannte cis-Moll-Töne – bildhaft gesprochen – gehen nicht überein.
Ein anderes Mal fand mein Vater ein zerrissenes Fischernetz. Gewiß, er hätte es flicken und verkaufen können. Aber das hätte sehr viel Zeit gekostet, und die brauchte er ja, um das Gold zu suchen. Mein Vater legte das Fischernetz beiseite in eine der Kisten, in denenschon anderes nicht sogleich Verwendbares ruhte, und holte es erst wieder hervor, als sich der Satz Kirchenglocken angefunden hatte.
Auf den ersten Blick schienen die Kirchenglocken bei uns so deplaciert zu sein wie das Fischernetz, und für sich genommen, waren sie das auch. Es waren zwölf porzellanene Nachbildungen einer jüngst erst in Betrieb genommenen Großglocke; auf ihren Rändern stand in erhabenen Buchstaben »Höret meine Stimme und erwachet!« geschrieben.
Mein Vater prüfte den Klang aller zwölf Glocken und las zwölfmal den Text »Höret meine Stimme und erwachet!«, was meine Mutter ruhiger hingenommen hätte, wenn es nicht beim Abendbrot gewesen wäre. Mein Vater holte das Fischernetz aus der Kiste, knüpfte die zwölf tönernen Schellen darein, stellte zwei Leitern an unseren großen Apfelbaum, der, weil er unmittelbar an der Straße stand, als die Keimzelle des heute so beliebten Selbstbedienungsgedankens angesehen werden kann, und zurrte das Klingelnetz über die Boskopkrone. Als es Abend ward, stellte er einen Golfschläger, den er gelegentlich gefunden hatte, in die Veranda neben seinen Lehnstuhl, der eigentlich ein ausgedienter Friseursessel und meinem Vater irgendwo untergekommen war.
Zur Beschreibung der weiteren Vorkommnisse in dieser Nacht möchte ich mich des Zitats bedienen, eines literarischen Mittels also, das, wie ich kürzlich einem ausgewogenen Vortrag entnehmen konnte, an Legitimität um so mehr gewinnt, als sich diese Welt immer deutlicher als schon ausgesagt herausstellt.
(»Wie wahr!« habe ich an jener Stelle dem Redner zugerufen, und »wie wahr!« wiederhole ich hier, dennwenn etwas am Stande der Dinge auf dieser Erde ins Auge fällt, so ist es ihre Unverrückbarkeit. Das bißchen Mondfahrt und karibische Fidelitas oder ähnliche Bagatellfälle der Historie darf man getrost übersehen, wo es um ästhetische Prinzipien geht.)
In diesem besonderen Falle wurde das, was ich zu berichten habe, bereits von Ludwig van Beethoven und einem zeitgenössischen Musikkritiker anläßlich der Sinfonie Nr. 6, F-Dur, op. 68, der »Pastorale«, ausgesagt.
Naturgemäß wird es ohne erläuternde Einschübe meinerseits nicht abgehen, da angenommen werden muß, daß sowohl Beethoven als auch der Kritiker bei Komposition beziehungsweise Interpretation der »Pastorale« Vorgänge im Auge gehabt haben können, die von denen unter unserem schellenbestückten Boskopbaum in Einzelheiten abgewichen sein mögen. Ich beginne:
Mein Vater hatte sich die Lehne seines Friseursessels in den rechten Winkel und die Nackenstütze in die rechte Höhe gestellt und blickte in den nächtlichen Garten. Alles war ruhig. »Keinerlei Störungen und Konflikte trüben die Freude am Erleben der Natur« (Kritiker, im folgenden kurz Kr. genannt). Da aber mein Vater auf anderes aus war als auf Erleben der Natur, blieb er vorerst emotionell unbewegt. Doch als er vorsichtige Schritte auf der Straße hörte, konnte man vom »Erwachen heiterer Empfindungen bei der Ankunft auf dem Lande« (Beethoven, auch weiterhin aus Gründen der Pietät Beethoven genannt) sprechen. Mein Vater vernahm, mit den Worten Kr.s, eine »sanft in gebrochenen Akkorden niederfließende C-Dur-Melodie« und »im Baß eine markante Gegenstimme«, woraus er schloß, daß es ein Pärchen sei, was sich da unserem Anwesen näherte – einPärchen, das ich, der praktischen Kürze und auch der dem Zitat verwandten Anspielung wegen, Adam und Eva nennen möchte.
Adam und Eva blieben in Höhe unseres Apfelbaumes stehen und kosten einander, freilich in allen Züchten – »in der Durchführung kommt es nicht zu dramatischen Zuspitzungen, sondern mehr zum schwärmerischen Ausbreiten freudiger Gemütsbewegungen«, sagt Kr. Wer von den beiden dann
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