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Lebenslauf zweiter Absatz

Lebenslauf zweiter Absatz

Titel: Lebenslauf zweiter Absatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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Soebenbrodt meinte, die seien jetzt alle in der Waschküche und sie hätten einen langen Abend vor sich und sie werde es schon ausrichten und ich käme ja wohl morgen noch mal.
    Dann fuhr ich den langen verschneiten Weg zur Stadt zurück. Es war wohl noch kälter geworden, aber ich merkte es nicht. Ich spürte immer noch das leise Kitzeln von Annas Haar an meiner Wange, und auf dem dunklen Weg vor mir schienen die Kerzen in ihren Augen zu leuchten. Nun paßte es mir gar nicht mehr so recht, daß die Wintertage so kurz waren, und ich war entschlossen, lieber ein paar Kurzschlüsse in die Leitungen auf dem Gut zu zaubern, als so schnell von dort fortzugehen. Was konnte ich mit dem Mädchen nur anfangen? Früher waren die Leute wohl tanzen gegangen, aber das gab es jetzt im Krieg nicht, und ich konnte auch gar nicht tanzen. Vielleicht kam sie einmal mit mir ins Kino? Oder war das immer so auf dem Gut da, daß die Leute bis in die Nacht hinein arbeiteten?
    Die Autos der Fliegeroffiziere hatten immer noch auf dem Gutshof gestanden, als ich fortgefahren war. Von denen kam doch nicht etwa einer auf die Idee, Annahübsch zu finden? Ich trat wild in die Pedale und landete schweißgebadet vor der Werkstatt.
    Der Meister kramte in einer Schublade. »Willste dir ’ne Lungenentzündung holen«, sagte er, als er mein nasses Gesicht sah, »das laß mal unterwegs, wir ham noch Arbeit.« Dann sagte er, ich solle mir noch die Heizsonne von Möbel-Wohl vornehmen, die Alte habe schon den ganzen Tag durchs Telefon gequakt.
    »Ich hab meine Zange vergessen, die neue«, sagte ich und freute mich über den Einfall.
    »Na, denn kannste sie abschreiben. Die klaun da wie die Raben. Oder fahr noch mal hin. Aber erst machste die Funzel von der Möbel-Witwe fertig. Ich hab ’n Sessel bei ihr bestellt.«
    Das war schnell gemacht, und den Weg hatte ich auch bald wieder hinter mir.
    »Mein Herre Gott, nee«, schrie die Mamsell, als sie mich sah, »jagt Sie der Leibhaftige?«
    Nein, sagte ich ihr, ich sei nur auf der Suche nach meiner Kombizange, die brauche ich ganz dringend, und wenn ich sie nicht wiederfinde, könne ich den Beruf aufstecken.
    Die Mamsell jammerte, es tue ihr bei unserem Herrn Jesus in der Seele leid, aber sie könne mir nicht suchen helfen, die Herren Offiziers sollten doch ein opülentes Mahl haben, und sie wisse so nicht, wie sie das machen solle, früher, ja früher sei das mit der Opülenz einfach gewesen, aber heute tauge allens nicht mehr, und außerdem habe sie es mit dem Podagra, und da falle ihr das Bücken schwer, so daß schon deshalb nicht an Suchenhelfen zu denken sei, und die Mädchen, die seien jetzt alle beim Waschen, und das könne zehn werden, und sie müsse sowiesoschon allein auftragen bei der Gnädigen und ihren Gästen. Nichts zu machen.
    Ich gab die Suche nach der Zange, die jetzt in einer Werkstattschublade lag, bald auf und verabschiedete mich an diesem Tag ein zweites Mal von Frau Soebenbrodt. Die Gute war ganz verzweifelt über mein Mißgeschick, und sie fragte, ob sie mir vielleicht mit einer Kneifzange, die irgendwo auf dem Boden liegen müsse, eine Freude machen könne. Es hätte nicht viel gefehlt, und wir beide hätten geheult.
    In dieser Nacht schlief ich schlecht, und ich wachte einmal davon auf, daß meine Mutter kräftig an die Wand klopfte. Sie sagte am anderen Morgen, ihr sei angst und bange geworden, so laut habe ich herumpalavert, und ob es jetzt wieder besser sei.
    Das sollte sich bald herausstellen. Ich machte den Weg wieder in guter Zeit und sah auch danach aus, als ich in die Küche von Mamsell Soebenbrodt kam.
    »Gott behüte dich«, rief sie, »was geht hier um? Sie werden doch nicht zerspringen? Und allens wegen so ’ne dumme Kneifzange. Die kleine Deern sah wahrhaftig auch ganz bleichgesüchtig aus heute früh. Und hat sie doch nicht gefunden.«
    »Augenblick«, sagte ich, »von wem reden Sie?«
    »Von uns’ lütt Anna«, sagte die Mamsell, »ist doch man nur ein Hänfling und sucht sich die ganze Nacht die lieben Augen aus dem Kopfe.« Es wurde sehr kalt.
    »Meinen Sie«, sagte ich vorsichtig, »daß Anna die Zange gesucht hat?«
    Die Mamsell sah nicht, daß ich Angst vor der Antwort hatte. Sie erzählte: »Es war schon halber elfe, als sie vons Waschen kamen, und ich sag noch, sie solln sich manschnell ins Bett drücken, sonst spürte Madam vielleicht noch ein Bedürfnis nach irgendwas, und die Fliegeroffiziere strichen auch durch das Haus, und ich wüßt ganz gut, was sie

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