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Lebenslauf zweiter Absatz

Lebenslauf zweiter Absatz

Titel: Lebenslauf zweiter Absatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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ward, wer auf eine Sache schwört und sie lobpreiset, anstatt zu sagen: Dies ist nichts und das auch nichts, Entschlossenheit wie Unentschlossenheit etwa oder was weiter da an altväterlichen Begriffen sein mag? Ich, der ich mich hinsetzte und voller Naivität niederschrieb: »Als mein Vater das Gold gefunden hatte, freuten wir uns alle sehr«, ich, der ich eben noch Schellenbäume dieser oder jener Art für erwähnenswert gehalten habe, ich, der ich auf Aufklärung zielte, als ich von einem Ziegendiebstahle und seinem Drumherum erzählte, ich, der ich rühren wollte, indem ich von meines Vaters Mühen sprach, ich, der ich drauf und dran gewesen bin, etwas so Archaisches wie einen Roman zu schreiben, ich bin verstört. Und ich will mich niedersetzen und versuchen, das Gold zu vergessen und auch unser aller Freude, und ich will mich mühen, eine andere, eine höchst neuartige Geschichte zu ersinnen, eine ohne allzu vieleWörter, ohne Moral, ohne Kommata und klein geschrieben. Und nur zum Abschied will ich, wie einen silbrigblauen Fetzen der Erinnerung, den einen Satz noch einmal schwingen lassen: »Als mein Vater das Gold gefunden hatte, freuten wir uns alle sehr.«

LEBENSLAUF, ZWEITER ABSATZ
    Ich lag unter dem Bett, und da lag ich nun. Ich glaube, es war staubig unter dem Bett. In meinem Mundwinkel mengte sich Staub mit Fett. Ich hatte gerade Speck gegessen, gebratenen Speck. Ich hatte auch Tee getrunken, aber der Geschmack des Specks hielt sich länger, und nun kam der Geschmack des Staubs hinzu. Nun lag ich unter dem Bett.
    Ich hatte das Koppel nicht geschlossen; das Schloß drückte in der rechten Leiste. Der linke Teil meiner Kragenbinde war lose; er polsterte das Stück der Diele, auf dem mein Backenknochen ruhte. Ich lag still, aber ich ruhte nicht. Ich ruhte, wie der Hase, der eben den Jäger gesehen hat. Ich hatte eben die Jäger gehört, und nun lag ich unter dem Bett.
    Ein Jahrhundert vorher hatte ich noch am Tisch gesessen. Gesättigt, getränkt, erwärmt, geborgen, schläfrig schon. Wir hatten vom Schlafen gesprochen. Ich hätte nur noch aufstehen müssen, nur noch einmal aufstehen und mich nach vorne fallen lassen. Dann hätten sie mich auf dem Bett gefunden. Nun würden sie mich unter dem Bett finden. Sie hatten mich gefunden.
    Ich lag unter einem Bett etwas südlich der Straße zwischen Kutno und Konin, in Höhe von Kolo etwa. Etwas und etwa; ich hatte keinen Kompaß und keine Karte. Es war am zwanzigsten Januar, sage ich seither; ich hatte keinen Kalender, und ich hatte keine Uhr. Die letzte Uhr hatte ich am dreizehnten Januar gesehen, und die letzteUhrzeit sagte mir einer, als wir den sechzehnten Januar hatten, schätzungsweise.
    Es ist schwer, so etwas zu schätzen, wenn keine Regel mehr gilt, außer daß es Tag wird und wieder Nacht. Wenn nicht mehr gilt, daß man morgens aufsteht und sich abends schlafen legt, daß man morgens zu essen kriegt und mittags auch und abends noch einmal, daß man auf Posten zieht von zwei bis vier oder von vierzehn Uhr bis sechzehn Uhr, daß Appell ist um sieben und Lale Andersen singt um Mitternacht – wenn das nicht mehr gilt, ist schwer zu schätzen, wie spät es ist. Und wenn es sein kann, daß es Sonntagvormittag war, als man den Küchensoldaten erschoß, anstatt in der Kirche zu sitzen und vom Gott zu singen, der Eisen wachsen ließ, und wenn man nur noch weiß, es war ein heller Wintermorgen, an dem man doch gegen allen Vorsatz vom Schnee gefressen hat, und wenn man glaubt, es könnten auch Monate gewesen sein ohne Ofenwärme, dann ist es nicht mehr wichtig, wann man unter einem polnischen Bauernbett liegt, weil es eben geklopft hat.
    Wichtig ist nur, daß es geklopft hat. Es war wichtig genug, dich vom Schemel zu wirbeln in die Deckung. Es hat an die Muschel geklopft – zurück in ihre letzte Windung, zurück in den engsten Spalt der tiefsten Höhle, zurück in die Krumen der Furche, in den Staub, ah, in den deckenden Staub!
    Es war gegen die Regeln, alles. Gegen die Regeln aus dem Handbuch und gegen die aus den Heldenepen. Man setzt sich nicht in Feindesland an Feindestisch und frißt und denkt nur ans Fressen. Man denkt nicht an Schlaf, wenn man nicht vorher an Sicherung gedacht hat. Man läßt den Bauern und seine Frau an der Mündung riechen,wenn man allein ist, und man sperrt sie in die Kammer; besser, man dreht ihnen vorher noch einen Strick durch die Zähne; dann kann man essen, Gesicht zur Tür, Mündung zur Tür, eine Hand am Gewehr und nur die

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