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Lebenslauf zweiter Absatz

Lebenslauf zweiter Absatz

Titel: Lebenslauf zweiter Absatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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erkenne ich, daß mir mit dieser Randbemerkung der Faden wieder in die Hand geriet, der mir wohl doch um ein weniges zu entgleiten drohte, und zwar von jenem Augenblicke an, da das Stichwort Kunst gefallen war. Und das ist kein Zufall. Denn wie Kunst nichts anderes ist als disziplinierte Ausschweifung, so verführt auch das Nachdenken über sie, ja ihre bloße Erwähnung, zu gedanklichen Ausritten weitab von den Bahnen des Her- und auch des Zukömmlichen, und Zügel und Trense sind hier nötiger als Peitsche und Sporn.
    Ausübende der Kunst wie ihre kritischen Begleiter sind daher immer dann am besten dran, wenn sie, schlicht gesagt, bei der Sache bleiben. Die Sache meines Vaters war es, Gold zu suchen, und die meine ist es, davon zu berichten. Ziegen- und Apfeldiebe, Apfel- und Schellenbäume können erwähnt werden, aber sie dürfen uns nicht den Blick verstellen. Sie müssen bleiben, was sie sind, Nebendinge.
    So will ich denn nunmehr ohne nochmaliges Zögern mit raschen, aber zutreffenden Worten schildern, was sich an jenem Tag begab, an dem mein Vater das Gold gefunden hatte. Mich deucht, ich hätte bereits erwähnt, daß wir uns damals alle sehr gefreut haben, aber mir ist, als hätte ich noch nicht gesagt, wer denn das war: wir alle.Zuoberst handelte es sich um meine Mutter, meine Geschwister und mich. Aber auch unter den Nachbarn waren viele, die von Herzen Anteil nahmen an unserem Glück. So vor allem Frau Mylamm, in deren eigenem Leben nie etwas von Erhöhung gewesen war, so daß ihr keiner hätte verargen dürfen, wäre sie ob meines Vaters Fund fortan neidgrünen Gesichtes herumgelaufen. Oh, war die vom Schicksal gebeutelt worden!
    Niemand, dem es Beruf ist, sich und andere zu unterhalten, indem er der Menschen Lebensläufte aufspürt, die Ergebnisse seiner Explorationen in Worte faßt und zu Papier bringt, niemand dieser Art kann sich der Versuchung entziehen, welche ausgeht von einem Satze wie: »Oh, war die vom Schicksal gebeutelt worden!«
    Das steht da wie eine dunkelhaarige Schöne mit verschränkten Armen; es ist gleichsam ein Satz auf hohen schlanken Beinen, mit kunstvoll verdrehten Hüften und mit einer Brust, die alles von einem Magneten hat, außer daß sie aus Eisen ist. Daran kommt man nicht vorbei.
    Die Entschuldigung ist da, und wenn nicht das, so doch wenigstens die Begründung, und die wird meinem Gewissen ein Maulkorb sein, wenn ich nun wider alle Vorsätze rasch noch von Frau Mylamm erzähle, bevor ich den Fundbericht voran- und ins Ziel treibe. Aber vielleicht ist es ökonomischer, wenn ich Frau Mylamm selbst das Wort lasse. Sie hat die tragischen Begebnisse ihres Lebens so oft vorgetragen, daß ihr die Beschreibungen der einzelnen Vorfälle wie rundgeschliffene Kieselsteine vom Munde gehen; sie weiß am besten, worauf es ankommt und worauf nicht, und wer auf anekdotische Verknappung aus ist, könnte bei ihr in die Schule gehen.
    Frau Mylamm war – soviel muß ich doch noch vorausschicken– zu jener Zeit, da ich sie das Folgende sagen hörte – es wird wenige Tage vor dem Goldfund meines Vaters gewesen sein, präziser kann ich es nicht angeben, denn naturgemäß hat der kolumbinische Triumph meines Vaters alles Vorangegangene ein wenig verdunkelt und der Relevanz entfernt –, Frau Mylamm war damals ein verhärmtes Wesen um die Fünfzig herum. Im allgemeinen war sie wortkarg, aber zwei Wörter konnten sie geradezu hektisch beredt machen. Es waren dies die Wörter Entschlossenheit und Unentschlossenheit. Welches von beiden auch fallen mochte und in welchem Zusammenhange immer, Frau Mylamm griff es auf und schnipste es verächtlich fort, indem sie sagte:
    »Davon halt ich nichts gar nichts. Entschlossenheit ist quatsch und unentschlossenheit ist quatsch und ich weiß was ich sag. Unentschlossenheit kann einen um was bringen was man gerne haben möchte und entschlossenheit kann einem was einbringen was man gar nicht haben möchte. Unentschlossenheit kann einen umbringen und entschlossenheit kann einen auch umbringen. Nehmen sie mich ich hatte es immer mit der entschlossenheit und dann kam einer der hatte es mit der unentschlossenheit und darum konnte nichts werden mit uns beiden. Denn eines tages kam diese lokomotive. Dadurch ist dann alles kaputtgegangen weil wir in dem bus gesessen haben und er so unentschlossen war. Als nämlich die lokomotive ankam war alles vorbei und was dabei durch die entschlossenheit herauskam taugte erst recht nichts. Und dabei hab ich den menschen so geliebt

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