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Lebenslauf zweiter Absatz

Lebenslauf zweiter Absatz

Titel: Lebenslauf zweiter Absatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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und wenn er nicht so unentschlossen gewesen wäre könnten wir noch heute glücklich sein womit ich aber nicht sagen will daß man durch entschlossenheit glücklich werden muß. Ich werdmich hüten so was zu behaupten das wär wohl das letzte. Denn der mensch den ich meine war das entschlossenste an unentschlossenheit was mir über den weg gekommen ist und wenn uns nicht damals als wir in dem omnibus saßen die lokomotive über den weg gekommen wäre dann hätte ich mir vielleicht nie die gedanken über entschlossenheit und unentschlossenheit gemacht die ich mir heute mach und die mich dazu geführt haben zu sagen daß entschlossenheit ebensowenig taugt wie unentschlossenheit. Der mensch den ich so geliebt habe und der mich auch geliebt hat dafür habe ich beweise war so unentschlossen daß er sich nicht entschließen konnte mir zu sagen daß er mich liebt was er mir nicht erst hätte sagen müssen damit ich bescheid wüßte was er mir aber doch hätte sagen müssen damit ich ihm hätte sagen können daß ich ihn auch liebe. Die lokomotive hat ihm dann heimgezahlt für seine unentschlossenheit und mir hat sie heimgezahlt indem sie mich an die entschlossenheit ausgeliefert hat. Er der mensch den ich so geliebt habe hatte mir ja auch schon andere beispiele für seine unentschlossenheit vorgeführt wodurch es unter anderem nie dazu gekommen ist daß wir miteinander getanzt haben denn ehe er sich entschließen konnte hatten sich immer schon andere entschlossen aber durch die lokomotive die ankam während wir in dem bus saßen ist dann mit allem schluß gewesen. Denn der bus stand auf den schienen und rührte sich nicht aber die lokomotive rührte sich mächtig und zwar gerade auf uns zu. Die andern in dem omnibus waren nicht so unentschlossen wie der mensch den ich so geliebt habe und sie sprangen alle entschlossen aus dem bus ehe die lokomotive zu dicht ran war aber dieser mensch mit seiner unentschlossenheit stand an dertür während die lokomotive heranraste und konnte sich nicht entschließen rauszuspringen weil ich noch hinter ihm war aber er konnte sich auch nicht entschließen mir den vortritt zu lassen. Natürlich war es längst zu spät als er sich entschlossen hatte mit seiner unentschlossenheit schluß zu machen und mir den vortritt zu lassen denn ich hatte ihn mir einfach und sehr kurz entschlossen das kann ich ihnen sagen genommen als die lokomotive schon so nahe an den omnibus ran war wie sie jetzt an mich. Und der mensch den ich so geliebt habe ist in dem omnibus geblieben wodurch denn die geschichte zwischen uns die wegen seiner blöden unentschlossenheit nie richtig angefangen hatte ein für allemal zu ende war was mich zu meinem urteil über die unentschlossenheit gebracht hat. Wenn sie aber denken dieser mensch den ich so geliebt habe hätte sich entschließen können aus seiner unentschlossenheit einen schluß zu ziehen dann haben sie immer noch nicht begriffen wie unentschlossen dieser mensch war. Auch als wir alle wieder zu ihm in den omnibus gestiegen sind hat er sich nicht entschließen können ein wort über seine liebe zu sagen obwohl doch ein wort schon genügt hätte entschlossen wie ich in meinen gefühlen war. Der bus ist dann weitergefahren was er konnte weil die lokomotive ganz kurz vor ihm angehalten hatte und ich hab mich vierzehn tage später nach raschem entschluß verheiratet und zwar wie sie sich denken können mit dem lokomotivführer weil der so entschlossen gewesen war und nun brauche ich ihnen sicher nicht mehr zu sagen warum ich auch von der entschlossenheit nichts halte. Sie kennen ja wohl meinen mann.«
    Ich habe das von Frau Mylamm Gehörte so rasch undfließend aufzuschreiben vermocht, und es ist mir so glatt von der Hand gegangen, daß nunmehr der Zweifel in mir rast, ob es denn heutzutage noch angängig sei, anders zu schreiben, als Frau Mylamm zu sprechen pflegt. Der Hauch der Moderne hat mich angerührt, und die Unschuld, in der ich meine Sätze zu prägen, meine Worte zu wählen und meine Zeichen zu setzen pflegte, ist verletzt, wenn nicht dahin. Kann denn ein Schreiber noch als ein heutiger zu gelten Anspruch erheben, wenn er nicht schreibt, wie man gestern, ganz weit gestern, schrieb? Ist man von dieser Welt, wenn man sich ihrer Regeln bedient? Muß man nicht für hoffnungslos zurückgeblieben gelten, wenn man nicht im engen Vokabelzirkel der Urväter im linnenen Kittel bleibt und in ihrer Wortarmut die wahre Tugend erblickt? Und begräbt sich nicht, bevor er geboren

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