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Lebenslauf zweiter Absatz

Lebenslauf zweiter Absatz

Titel: Lebenslauf zweiter Absatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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andere im Speck.
    So lebt man aus den Büchern, und anders lebt man nicht lange. Man springt nicht unters Bett, wenn es klopft. Sicht geht vor Deckung. Wo ist da Sicht unter diesem Bett? Da sind nur noch Empfindungen; da geht kein Krieg.
    Wenn es geklopft hat, da, in solcher Lage, setzt man den Helm auf, zieht das Sturmgewehr an die Schulter und ruft wie ein Kleistscher Reiter: Herein, wenn’s kein Schneiderlein ist! Und wenn es kein Schneiderlein ist, wenn es einer unter Waffen ist, läßt man es fliegen, den Stahl und das Blei, und wenn es mehrere sind unter Waffen, läßt man entsprechend mehr fliegen vom Blei und vom Stahl, und man ruft dazu wie ein Schillscher Husar: Mich kriegt ihr nicht, ihr Hunde! Und man zählt die Schüsse und denkt dabei: Der letzte ist für michachdumeinschwarzbraunesmägdelein.
    Aber man springt nicht unter ein Bett. Aber ich bin unter das Bett gesprungen.
    Auch hätte ich sie schon weit früher auffangen sollen, die Feinde, nicht erst hier neben dem Bett etwas südlich von Kolo, und zurückwerfen hätte ich sie schon früher sollen, von Klodawa fort und über den Ural zurück vorerst. Ich hatte die Bücher schon länger nicht mehr befolgt gehabt, als ich mich da unter das Bette warf.
    Anstatt die Feinde zu werfen, hatte ich mich davongemacht, nur weil die Feinde auf mich schossen. Anstatt das große Ganze zu sehen, hatte ich alles persönlich genommen. Ich hatte an mein Fell gedacht, ich hatte meinemMagen gelauscht, hatte meine Füße angesehen, nur weil sie erfroren waren. Und als ich den Küchensoldaten erschoß, hatte ich es getan, weil sonst er mich erschossen hätte. Ich, mein, meine, mich. Ich hatte mich zu sehr meiner angenommen und darüber vergessen, daß die Feinde hinter den Ural gehörten und ich nicht unter ein polnisches Bauernbett.
    Doch da lag ich, die Arme nach vorn gestreckt, die Hände flach auf den Dielen, die Beine leicht gegrätscht, Innenkanten der Stiefel auf den Dielen. Ich hatte die Augen offen; ich weiß noch von einer herabhängenden Matratzenfeder im geviertelten Licht der Petroleumlampe; von der Feder weiß ich noch und von Schmalz und Staub im Mundwinkel und vom Koppelschloß in der Leiste. Ich weiß auch noch, wie gut ich hörte. Mein besseres Ohr, das linke, lag auf dem Polster der Kragenbinde, aber ich hörte auch mit dem anderen nun sehr gut.
    Die Frau schrie, immerfort, immerfort sehr polnisch; ich hatte sie vorher für stumm gehalten. Der Mann schrie gegen die Tür, dann schrie er polnisch, und er schrie mir etwas zu unters Bett, das schrie er deutsch. Ich sollte hervorkommen, schrie er mir zu, und er schien in Eile, und zur Tür schrie er, denke ich mir, ich käme schon hervor, sie sollten noch etwas verweilen mit dem Schießen, er sähe genau, ich käme soeben hervor unter seinem Bett, und er schrie auch dies in Eile.
    Ich kann nicht behaupten, frohen Ton aus ihm gehört zu haben, dabei hatte er Grund: Ich war im Begriff zu gehen. Kein Mann sieht gern einen Mann unter seinem Bett. Kein Mann sieht gern einen Mann mit Flinte auf seiner Schwelle. Aber er hatte mich eingelassen, unfroh, doch überzeugt.
    Ich muß überzeugend ausgesehen haben mit der Nacht über den Schultern, mit Dreck im Kinderbart und mit einem deutschen Sturmgewehr. Ein Sturmgewehr ist für den Sturm gedacht. Es ist leicht, leicht handhabbar, zuverlässig, und ein zuverlässiger Mann schießt recht schnell damit. Ein unzuverlässiger Mann, einer, dem die Regeln abhanden gekommen sind, weil er nicht rechtzeitig zu essen bekommen hat und schon lange nicht, ein solcher Mann schießt noch schneller mit dem deutschen Sturmgewehr, und wer ihn auf seiner Schwelle trifft, Glock Mitternacht bei Krieg, der weiß die Regel: Einen solchen lasse man geschwind herein!
    Der Mann, der mich so geschwind zu sich eingelassen hatte, schrie nun zur Tür, vermutlich, er werde mich geschwinde wieder herauslassen, und mir schrie er den Grund unters Bett: Draußen stünden viele und hätten viele Gewehre dabei, und nicht ihn wollten sie und seinen Speck, sondern mich wollten sie, mich da jetzt noch unter seinem Bett.
    Er sprach, meine ich, von Schießen; die andern, meinte er, hätten von Schießen gesprochen.
    Das wollte ich glauben. Wir alle sprachen damals recht häufig von Schießen. Wir alle ließen es damals beim Sprechen selten bewenden. Und auch die Regel galt nicht mehr, daß man zu sagen habe: Halt oder ich schieße! ehe man schösse. Man schoß; das verkürzte den Vorgang; das machte den andern

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