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Lebenslauf zweiter Absatz

Lebenslauf zweiter Absatz

Titel: Lebenslauf zweiter Absatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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dreihundert Nudelhölzern. Dreihundert Mongolenrosse donnerten gegen die Bohlen. Dreihundert Pferdekräfte gingen los gegen des Bauern und meine Pforte. Die I. Belorussische Front tat einen kollektiven Faustschlag an unsere Tür.
    Da griff ich, von später weiß ich das, den leeren Teller und mein gefülltes Sturmgewehr und warf den Teller und das Gewehr und mich unter des Bauern Bett.
    Das verstieß gegen viele Regeln: gegen die Regeln über den Umgang mit Tellern, über den Umgang mit dem deutschen Sturmgewehr, über den Umgang mit dem Feind, und gegen die Regeln über den Umgang mit mir.
    Was Wunder, daß ich reglos lag, Speck und Staub im Mund, ein eisernes Schloß in der Leiste, den Backenknochen auf der Kragenbinde, satt und überhörig unter bäuerlichem Bett etwas südlich der Straße von Konin nach Kutno in einer Winternacht bei Krieg.
    Was Wunder, daß ich aufstand, als der Bauer aufstehn schrie. Dann ging ich zur Tür. Dann hob ich die Hände.

EINE ÜBERTRETUNG
    Verwegene Annahme: Einer will wissen, wo ich mich sterben sehe. Wo, unter welchen Umständen, von wessen Hand, bei welcher Gelegenheit.
    Bald?
    Weiß nicht, wann. Glaub nicht an fremde Hand in dieser Sache. Aber Gelegenheiten und Umstände, da habe ich Vermutungen.
    Bei einem Vorgang werde ich sterben, zehn Schritte vom Schalterfenster, zehn Menschen weit in der Gänsereihe zum Stempelmann. Brüder, ich weiß, er tut seine Sache, wie er kann; er will mich nicht morden. Doch auf dem Wege zu ihm wird es geschehn.
    Der nächste! werd ich ihn sagen hören, zehn Schritte weit von mir, und wissen muß ich, achtmal noch werde nicht ich der nächste sein. Es hat seine Ordnung, und die bringt mich um.
    Haben Sie Vorbilder? wurde ich gefragt, und stockend nur wußte ich Auskunft. Seit einer Amtsstube in Moskau könnte das anders sein; dort hab ich mein Idol gefunden.
    War ein Dichter, wie ich einer bin, ausgeschriener zwar und weltbefahrener, doch ob haltbarer, werden wir noch sehen. Kam, wie ich, ein Geld zu holen, aber wie er kam, das leuchtet mir. Sprang durch die Tür, zertrat hölzerne Barren, die Gogol noch und Tschechow und selbst den starken Majakowski gehalten hatten, machte mit Armschwung, daß ein Meer aus Schemeln und Pulten sichteilte, und rief, als wärs ein götterbrechendes Gedicht: Wer ist hier der Höchste?
    Zauberischer Auftritt: Sogleich war er der Nächste nicht nur, war der Erste nun, der Einzige, bedient vom Genossen Leiter, dem Glück um die Augen lag und Stolz die Zunge pelzte.
    Ach, Vorbilder, Vorbilder, ach!
    Wenn wir wissen, was wir nicht erreichen können, wissen wir schon viel.
    Mich wird’s in einer Schlange niedermachen. An der Garderobe nach mäßigem Othello, auf des Bäckers Schwelle, zahlungswillig vor Konsums Nadelöhr, dem Kassenschlitz hinter der Selbstbedienung, an jener Bahnschranke beim märkischen Gransee oder während eines Grenzübertritts.
    Oder während eines Grenzübertritts. Ich habe meinen Paß gezeigt beim Verlassen der Stadt. Ich habe meinen Paß gezeigt vor Eintritt in die Warnmeile. Ich habe meinen Paß gezeigt an der Öffnung der Durchgangsschleuse. Ich habe angehalten auf Schilderzeichen und bin weitergefahren auf Handzeichen, dann habe ich meinen Paß gezeigt. Ich habe meinen Paß durch ein Fenster gereicht, war nun verabredet mit ihm und traf ihn endlich wieder. Ich habe den Paß der Frau vom Zoll gewiesen. Ich möchte keinen Beruf, der Argwohn zu meinen Pflichten macht. Muß es geben, weiß ich doch.
    Sechzig Kilometer hätte ich fahren können, wäre ich nicht gestanden zu der Zeit und hätte mich frei gemacht zur Besichtigung; das bringt mich sechzig Kilometer näher an die Grube.
    Weiterfahrt nur auf Handzeichen, mußesgebenweißichdoch, ich mag die Bewegung auf Handzeichen nicht.
    Eines Tages wird mich der Wink nicht mehr erreichen. Da werden sie mich finden, meinen Kopf im Zweispeichenrad gebettet auf prallschluckendes Material, die Augen blicklos aufs Bremspedal gerichtet. Mein Prall gegen die Welt für immer geschluckt.
    Noch halt ich den Kopf überm Lenkrad, doch stets, wenn ich in der Schleuse auf mein Zeichen warte, mein Vaterland schon halb im Rücken, jedoch gerade hier gar sehr umgeben von ihm, frage ich, was ich zu suchen habe am Loch vom Zaun gegen Wolf und Mitschnackeronkel, und beidrehen möchte ich beinahe.
    Weiß, warten ist mir tödlich, und habe mich doch wieder eingelassen. Briefe, die mich freundlich laden, nehmen mich immer auf die Schaufel. Kommen Sie, lesen Sie, reden Sie,

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