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Lebenslauf zweiter Absatz

Lebenslauf zweiter Absatz

Titel: Lebenslauf zweiter Absatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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daß wir uns in einem Handel befanden, erfuhr ich aus seinen nächsten Worten:
    Angenommen, ich wäre Ihr Kunde, dann wäre die Sache so, daß Sie bei mir Freude am Morgen suchten und ich bei Ihnen Freude zum Abend. Wenn ich nun zu Ihnen sagte: Könnten Sie mir nicht einmal etwas Erfreuliches zum Abend mitbringen?, dann würden Sie denken: Der Schwint, der spinnt! Ich stelle mich jeden Morgen eine halbe Stunde bei ihm an, und dafür soll ich ihm etwas über den Ladentisch schieben? Wo wäre denn da, müßten Sie denken, mein Nutzen?
    Soweit war ich noch gar nicht mit meinem Denken. Ich hielt bei der Frage, was der Mann wohl mit den Annehmlichkeiten des Abends meinen und wie der Buchhandel da hineinspielen mochte, und ich rief mir zu, hier sei der Punkt, an dem ich Meister Schwint vom Hörfehler seiner Kundin Lörke sagen müßte.
    Der Auftritt einer betagten Frau unterbrach den dunklen Dialog zwischen dem Meister und mir, aber ich konnte ihn zu klärenden Überlegungen kaum nutzen,denn die Szene machte mir drastisch klar, wie man dran war bei Meister Schwint, wenn man nicht beizeiten zur Stelle sein konnte.
    Aber junge Frau, sagte der Bäcker in jenem Tonfall, der mir den Gedanken ans Älterwerden nicht angenehmer macht, werte Frau Kundin, wo denken Sie hin? Schrippen jetzt? Knüppel noch? Hörnchen um diese Stunde? Wie lange kommen Sie schon bei mir, Frau Lüderitz? Da wissen Sie doch, daß um die Zeit kein müder Krümel mehr zu haben ist!
    Herr Schwint hat Frau Lüderitz ein halbes Graubrot verkauft, und er war nicht der Mann, sich wortlos auf die Wirkung des Vorgangs zu verlassen. Ja, ja, Herr Farßmann, sagte er, so ist das, wenn man nichts zu bieten hat. Grausame Welt, aber keiner von uns beiden hat sie gemacht. Nun muß jeder sehen. Ich bat um die andere Hälfte des Graubrots und wollte gehen, aber er war entschlossen, uns in einen Handel zu bringen.
    Herr Farßmann, sagte er, seit Sie mein Kunde sind, habe ich Sie im Auge. Sie sind ein Beobachter, habe ich bemerkt. Sie haben einige Male zugesehen, wenn ich die beiden Beutel mit den Brötchen füllte. Was Sie aber nicht gesehen haben, ist, wo ich mit den Beuteln bleibe. Die hänge ich in einer Hofecke an zwei bestimmte Nägel. Den einen Beutel holt mein Zahnarzt, den anderen holt der Mann, der bei meinem Wagen die Durchsichten macht. Es ist noch ein dritter Nagel da, aber mehr, das gilt eisern, wird es niemals geben.
    Herr Schwint schwieg auf eine Weise, daß mir einfallen mußte, was zu sagen war: Und Sie meinen, der dritte Nagel … Das wäre ja fabelhaft, nur müßte ich nun doch genauer wissen, an welche Gegenleistung Sie denken.
    Versteht sich, Herr Farßmann, sonst schleppen Sie mir was Astronomisches an oder bulgarische Kochbücher. Obwohl, ich dachte, ich hätte mich angedeutet. Für die Freuden des Abends, Sie werden verstehen!
    Das glaubte ich jetzt auch, aber ich sagte, soweit ich wüßte, sei das Angebot unseres Buchhandels auf diesem Gebiet weder breit gefächert noch sonderlich profiliert.
    Soweit Sie wissen, Herr Farßmann, Sie sind gut! Aber ich erwarte mir ja nichts Ausgefallenes, ich erwarte mir nur Sachen, die es gibt und die ich sonst nicht kriege. Zum Beispiel, wenn Sie mir dieses chinesische Ding besorgen könnten, Tsching Peng Meck, da brauchten Sie auch nicht mehr von meinen Torten zu kaufen.
    Weil ich zu sehr in einen Handel verstrickt war, in dem ich vorerst nur mit einer Nachfrage aufwarten konnte, hatte ich nicht die Muße, das Vorkommen von Selbstkritik beim Umgang eines Bäckermeisters mit seinen Produkten zu bestaunen, aber die Aussicht, vom Kuchenzwangskauf ebenso loszukommen wie von Fräulein Weigels Dankbarkeit und dem dazugehörenden Getuschel im Büro wie auch von der unsinnigen finanziellen Belastung, ließ mich zu allem nicken, was Herr Schwint mir vorgetragen hatte, und als ich begriff, daß der eigentliche Hauptgewinn in arbeitstäglich zwei warmen Schrippen plus einer halben Stunde Mehrschlaf bestand, sprach ich, wie ich es aus dem Kino kannte: Der Handel gilt!
    Und Bäckermeister Schwint hat mir gezeigt, wie sorglich er den einzuhalten gedachte, denn er hat in ein Geheimfach gegriffen, es muß ein Geheimfach gewesen sein, und hat mir sechs Brötchen ausgefolgt, zwei scharfgebackene, zwei sehr helle und zwei von normaler Beschaffenheit.
    Ich zahlte, dankte und ging und widerstand der Versuchung, mich bei dieser Gelegenheit auch gleich meiner Geisterbräute zu entledigen, denn ich ahnte, daß Herr Schwint in mir den Mann

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