Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lebenslauf zweiter Absatz

Lebenslauf zweiter Absatz

Titel: Lebenslauf zweiter Absatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
Vom Netzwerk:
immer, zwei helle und zwei scharfe!
    Der Bäcker hat die Botschaft vernommen und hat sich in seine Backstube entfernt, und ich bin besorgt nach Hause und danach immer noch besorgt zur Arbeit gegangen. Es war an der Zeit, daß ich das chinesische Ding auftrieb, denn dieser Bäcker war bekanntlich nicht ganz bei Sinnen. Wer wußte, zu welchen pantomimischen Darstellungener noch bereit war, um mich auch ja recht unmißverständlich an Kin Ping Meh und dessen bewegtere Stellen zu erinnern.
    Wenn jemals ein Mensch Grund hatte, die Schrumpelstilzchen, welche der Konsum unter der Warenbezeichnung Brötchen feilhält, einfach für Brötchen zu nehmen und die Schwelle von Bäckermeister Schwint zu meiden, dann war ich dieser Mensch. Aber ich war auch, das merkte ich zu meinem Schrecken, den Schrippen des Meisters verfallen. Ich war süchtig auf eine Art, von der man vielleicht noch nicht gehört hat, ich war brötchensüchtig.
    Sucht ist Sucht, Trunksucht, Freßsucht, Eifersucht, fast aussichtslos, davon wegzukommen. Also ergibt man sich. Also zahlt man seinen Preis. Also mußte Herr Schwint seinen Kin Ping Meh erhalten. Also mußte ich zum Vetter hin.
    Ich fragte ihn gleich, ob er mir den chinesischen Reißer verkaufen wolle, und er sagte, ohne hinzudenken: Für kein Geld!
    Das wollte aber nichts meinen, er hatte schließlich eine Zeitlang mit älteren Autos gehandelt. Für kein Geld! hieß nur: Für sehr viel Geld!, oder es hieß: Zwar für kein Geld, für Geld nicht, aber ich höre Vorschläge.
    Freilich hatte ich keine Vorschläge zu machen. Buchhalter ist auch in dieser Hinsicht kein Posten mit allzu vielen Möglichkeiten, denn Waren wie Geld kommen bei uns nur in Zeichen vor, und wollte man an sie in ihrer wirklichen Gestalt, müßte man in verzweigte Bündnisse treten. Von da an wird es kriminell.
    Weil es beim Handel üblich ist, an entscheidenden Punkten eher zu schweigen, als zu reden, und weil ichauch gar nichts anderes wußte, schwieg ich nach dem Ausruf meines Vetters, und um die verstreichende Zeit zu nutzen, machte ich mir einen weiteren Gedanken: Der Bäcker zum Beispiel, dachte ich, hätte dir wortlos die andere Hälfte vom Graubrot ausgefolgt, von dem die arme Frau Lüderitz den ersten Teil bekommen hatte, wenn du ihm ein Buchhalter gewesen wärest. Kein Wort über abendliche Freuden hätte der mit einem Buchhalter getauscht, ganz zu schweigen von einem Geschäft, bei dem es um frische Semmeln ging und um eine alte und doch noch recht frische Geschichte.
    Ich erwog gerade, ob wir Buchhalter nicht heutzutage die eigentlichen Proletarier seien, als mein Vetter noch einmal sagte: Für kein Geld! Aber, sagte er weiter, und er machte ein Gesicht, wie ich denke, daß die Könige im Märchen es machten, wenn sie mittellosen Wanderburschen Unmögliches aufgaben, aber, sagte mein Vetter, wenn du eine Karte für den Tierparkball besorgst, ist die chinesische Schwarte dein.
    Er war immerhin ein Verwandter, und so kann ich nicht sagen, daß Tücke aus seinem Antlitz leuchtete, aber Karten für den Tierparkball, das war stark! Karten für den Tierparkball waren selbst unter märchenhaften Umständen kaum zu erlangen.
    Mein Vetter wußte das, und er wußte, daß ich es wußte. Den Nachrichten zufolge, welche wir beide verläßlich hatten, waren die Teilnehmer an dieser Geselligkeit von der erlauchten Art, wie sie zuletzt auf der sinkenden »Titanic« beobachtet werden konnte. Antiquitätenhändler, Speditionsdispatcher, Vulkaniseure, Spitzenfriseure, Leitende Leiter, Annoncenannehmer, Besitzer von Lackieranstalten und Mietgaragen, Verwandte von Verwaltern,Männer vom Fahrzeughandel und Frauen von den lauten Künsten – Leute, die mit dem Tierpark wenig zu schaffen hatten, wohl aber mit dem Ball, der dessen Namen trug.
    Ein Wunder, dachte ich, als ich im Schock nach meines Vetters verstiegener Forderung verwirrt Gedankenkreise um mich schlug, ein Wunder, daß Bäcker Schwint in diesem Zirkel fehlt, wo es ihm doch ein leichtes sein sollte, da hineinzugelangen – ein Beutelchen an einem Nägelchen in einem Balken auf einem Hof … Aber wahrscheinlich wußten sie einfach nicht voneinander, der Mensch mit den Karten für den Tierparkball und der Letzte Wirkliche Schrippenbäcker, und das war gut so, denn wo bliebe ich, wenn die beiden einen Handel hätten? Ich bliebe draußen, weil der Verteiler so begehrter Billetts wahrscheinlich auch chinesische Romane schlüpfrigen Einschlags zu beschaffen wüßte. Und warum, zu welchem

Weitere Kostenlose Bücher