Lebenslauf zweiter Absatz
mir mit der Erfindung helfen, bei Meister Schwint werde noch kontingentiert. Aber den Kuchen wollte außer dem freßsüchtigen Fräulein Weigel bald keiner mehr, und prompt kam ich mit Fräulein Weigel ins Gerede.
Rein buchhalterisch betrachtet, war die Sache unausgewogen: Fünfmal in der Woche eine halbe Stunde früher aufstehen, zwischen zehn und zwölf Mark monatliche Mehrkosten für nicht benötigte Bäcker- und Konditorwaren, das zehrende Interesse Frau Lörkes an meiner Doppelliebe im Büro, die Dankbarkeit Fräulein Weigels und das Gestichel der Kollegen dort und schließlich dieimmerhin erforderliche Mühe, es im Verkehr mit Frau Schwint beim Wohlgefallen an den knusprigen Brötchen sein Bewenden haben zu lassen und dieses dem gefährlichen Meister durch entsprechendes Betragen auch anzuzeigen – das alles wegen zwei Stückchen Backzeugs war rechnerisch nicht ganz erlaubt.
Nur schlug das Rechnerische nicht zu Buche, wenn ich in Schwintens Schrippen biß. Die waren eben so, daß sich alles Abgezähle verbot. Sie waren das Leben.
Das klingt übertrieben, aber ich empfand es so. Oder, um genau zu sein: Ich konnte es so empfinden, nachdem ich doch einmal abgezählt und errechnet hatte, daß der Stückpreis der von mir tatsächlich verzehrten Brötchen auf über siebzig Pfennige kam, das Frühaufstehen und die Lasten auf der Seele nicht veranschlagt. Dem Buchhalter in mir mußte das als reiner Aberwitz erscheinen, und so kam ich mir auch an jedem Morgen, an dem ich in mein überzahltes Frühstück biß, äußerst verwegen vor. Diese Verfassung hielt an bis ins Büro, und einmal hieß es im Gerede dort, die Scheidung habe mir merklich gutgetan.
Zwar wußte ich es anders, aber ich widersprach doch nicht, und ich wehrte mich auch nicht, als ich spürte, daß mir allmählich die Zunge loser ging und mir die Glieder lockerer in den Gelenken hingen.
Gewiß ist es übertrieben gewesen, die Brötchen für das Leben zu nehmen, aber unbestreitbar bin ich dem Leben wieder nähergekommen, als ich an jenem Morgen nach dem Umzug in die Schlange vor Schwintens Laden trat. Und als ich eines anderen Morgens zum ersten Mal in ein Gespräch mit dem Bäckermeister kam, war ich kaum noch befangen und höchstens ein wenig dankbar. Undnicht im mindesten überraschte es mich, daß Frau Lörke den Mann mit aller Nachricht über mich versehen hatte. Schließlich hatte sie mich auch über ihn mit allen Nachrichten, einschließlich derer aus dem Strafregister, versehen gehabt.
Daß der Bäcker und ich alleine waren, erklärt sich aus einer Grippe, die mich bis in den Vormittag im Bette hielt, bis in eine Stunde, von der die Kundschaft wußte, wie wenig Brötchen und selbst Knüppel da noch zu holen waren; Frau Schwint versah dann die Küche, und die wenigen Gänge in den Laden tat ihr Mann.
Der sagte zu mir: Ist wohl heute Ruhetag im Buchhandel?
Ich brauchte eine Weile, den Satz zu entschlüsseln, aber als ich erfaßt hatte, welchen Sinn er transportierte, wußte ich, daß Frau Lörke alles über mich, einschließlich ihres Hörfehlers, an den Meister geliefert haben mußte.
Nur für mich, sagte ich, eine kleine Grippe.
Ja, sehen Sie, sagte er, das könnte ich mir gar nicht leisten. Wir behandelten das Problem der schweren Verantwortung, die ein selbständiger Handwerksmeister zu tragen hat, unter verschiedenen Gesichtspunkten, aber es war Herr Schwint, der am Ende einräumte, sein Beruf habe auch freundliche Seiten. Allein wenn er bedenke, sagte er, wie vielen Mitmenschen er den Tagbeginn angenehmer mache, erfülle ihn Zufriedenheit.
Ja, antwortete ich, und es fiel mir gar nicht schwer, etwas Neid anklingen zu lassen, wer das von sich wissen kann, ist wohl glücklich dran.
Der Meister sah mich prüfend an, schien etwas von mehreren Seiten her zu bedenken, und bei seinen nächsten Worten hatte ich den Eindruck, unser Gespräch verschöbesich in eine höhere Phasenlage. Denn Herr Schwint äußerte die Ansicht, auch ein Buchhändler habe es wohl in der Hand, anderen Leuten Annehmlichkeiten zu bereiten.
Einer solchen Vermutung wollte ich getrost beitreten, doch ehe ich es konnte, hatte Herr Schwint ihr den etwas rätselhaften Satz angefügt: Allerdings denke ich mehr an den Abend als an den Morgen, denn unsereins kommt nur abends dazu, weil morgens die Brötchen dran sind, Sie verstehen!
Ich verstand überhaupt nichts, und Herr Schwint muß mein Mienenspiel für das richtige in diesem Abschnitt unseres Handels gehalten haben, und
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