Lebenslauf zweiter Absatz
mit Verständnis für sein Verlangen sah, weil ich mich offen zu zwei Gefährtinnen bekannte. Von denen er übrigens anzunehmen schien, sie würden mich auf meinem Krankenlager besuchen, denn er hatte mir die Schrippen für sie gegeben, obwohl er wußte, daß ich heute nicht in meinen Buchladen ging.
An diesem Punkt fuhr ich mir in die Gedanken und herrschte mich an: Du Spinner gingest in keinen Buchladen nicht, wenn du gingest. Wenn du gingest, gingest du in eine Buchhaltung, und wie du da ein Exemplar von diesem verdammten Kin Ping Meh auftreiben willst, das wird nun deine Sorge sein!
Ich entsann mich zu gut des verrückten Gebarens eines Vetters, der mir den chinesischen Roman einmal geliehen hatte. Er verlangte Pfänder von mir, und jeden Abend kam er vorbei, um zu sehen, ob ich die Scharteke noch hatte, und dann wollte er wissen, wie weit ich mit dem Lesen war, und danach wurden die scharfen Stellen besprochen, und schließlich neigte mein Vetter dazu, nunmehr von den scharfen Stellen in seinem Leben zu berichten. Da war Kin Ping Meh aber besser.
Übel fand ich, daß mich dessen Lektüre zu dem Irrtum führte, in allen dicken alten Büchern aus China gehe es so lose zu. Ich habe eine Menge Zeit auf die Suche nach eingestreuten Unanständigkeiten gewendet, aber im Grunde bin ich nur über Speisefolgen, Schimpfreden bei Duellen und mir nicht recht einleuchtende Ansichten philosophischer Natur unterrichtet worden. Solche Dinge zu wissenist nicht schädlich, aber ihr praktischer Nutzen bleibt beschränkt. Was man von den Informationen, die ich Kin Ping Meh entnahm, nicht sagen kann, aber wenn ich das belegen wollte, hörte ich mich bald wie mein Vetter an, und das möchte ich vermeiden.
Ich habe es auch vermieden, mich lange bei dem Gedanken aufzuhalten, ich könnte dem Vetter zugunsten meines Bäckers und also zu meinen Gunsten die chinesische Sittenschilderei abschwatzen. Er hätte das Buch damals, als er es mir lieh, am liebsten an eine lange und unzerreißbare Schnur gebunden, und an der hätte er immer gezogen, wenn ihm nach Kontrolle war.
Auch hätte er mir nie geglaubt, daß es mir nur um etwas mehr Ökonomie, etwas mehr Schlaf und etwas mehr Freude am Frühstück ging. Diesen Verwandten konnte ich getrost auslassen, wenn ich nach Wegen sann, auf denen sich zu Kin Ping Meh gelangen ließe.
Aber dann ist mir doch nur der Vetter geblieben, denn in meinem Bekanntenkreis hat sich niemand zum Besitz des würzigen Werkes bekennen wollen – außer Fräulein Weigel, die ich in meiner Not auch danach gefragt hatte. Noch nie, sagte Fräulein Weigel, sei ihr einer so direkt gekommen, aber sie schätze das, und wenn ich mich am Abend bei ihr einfände, wollten wir mit verteilten Rollen ausgewählte Szenen lesen. An der Art, wie sie mich in die Rippen stieß, als sie mich aufforderte, Plunderstücke und Liebesknochen nicht zu vergessen, merkte ich, daß sie nicht nur an Freßsucht litt. Es war sehr unangenehm, denn Fräulein Weigel unterrichtete das Büro von meiner Offerte. So sprach sie jedenfalls, von einer Offerte, und in der Buchhaltung ging es einige Tage, wenn man mich einmal nicht zählt, recht fröhlich zu. Da habe ich FräuleinWeigel den Schwintschen Kuchen entzogen. Ich habe ihn den Tauben am Humannplatz geschenkt.
Der Bäckermeister und Bücherfreund führte sich auch befremdlich auf. Wenn er sonst nur gekommen war, um neuestes Backwerk zu liefern oder die beiden Brötchenbeutel zu füllen oder festzustellen, ob ein Mann seiner Frau begehrliche Augen machte, erschien er jetzt immer dann, wenn ich im Laden war, und von anfangs nur fragender Mimik geriet er am Ende in eine Pantomime, in der er mich mit saugendem Blick ansah, dann die Schrippenbeutel von Zahnklempner und Wagenklempner schwenkte und schließlich so an der Haut um seine Augen zerrte, daß sie sich zu zwei vielsagenden Schlitzen verengten.
Natürlich blieb mir nichts übrig, als bedauernd die Schultern hochzuziehen, und natürlich blieb unser gestischer Austausch niemandem verborgen und also der Bäckerin auch nicht. Sie sah verstört nach ihrem Mann und dann nach mir, und ich zog auch für sie bedauernd die Schultern hoch. Es war mir nur darum zu tun, ihr anzudeuten, daß ich für das Gebaren ihres Mannes nichts konnte. Aber der betrachtete plötzlich in tiefer Nachdenklichkeit seine Frau und mich, und das fehlte mir noch.
Ich rief in einer Tonlage, die eine Botschaft war: Wie immer, Frau Schwint, zwei normale für mich und dazu, wie
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