Lebenslauf zweiter Absatz
Tasche nahm und öffnete: Ich darf doch mal? Er nahm den Schrippenbeutel aus der Tasche, und er sagte, während er die Schnur aufzog: Ich darf doch mal? Er steckte die schöne Nase in den Beutel, verdrehte die schönen Augen im süßen Duft, und er sagte, während er die Brötchen sacht auf seinen Schreibtisch gleiten ließ: Ich darf doch mal?
Dann saß er lange da und betrachtete, was Bäcker Schwint so gut gebacken hatte, und in seinem schönen Mannsgesicht waren Freßgier und Sehnsucht versammelt, Demut beinahe, weil sein Auge so Vollkommenessah, und jene Wildheit war auch in seinem Blick, vor der sich fürchten muß, wer zu verlieren hat, was ein solcher haben will. Er legte den Brötchenbeutel über die Brötchen, als gelte es, einen gleißenden Glanz etwas abzudecken, und er sagte zu mir: Wo gibt’s denn die?
Ich nannte den Namen meines Bäckers, und aus purer Geselligkeit dachte ich einen Augenblick daran, nach der Art von Frau Lörke hinzuzufügen, daß Herr Schwint auf eine aktenkundige Weise eifersüchtig sei, aber der Mann hatte jetzt wieder viel von einer Zuständigen Person, und so gab ich nur die Adresse des Meisters hinzu, und als ich mich noch fragte, wie man einer Zuständigen Person auf schickliche Art erklärt, daß es allerdings einige Umstände macht, will man an solches Gebackene kommen, hörte ich mich sagen: Beim Bäcker auf dem Hof in einem Balken sind drei Nägel, an einen davon hängt man diesen Beutel mit abgezähltem Geld …
Ich wollte die Prozedur noch näher erläutern, wollte auch erklären, daß sich der Beutel nicht ohne weiteres fülle, wollte von diesem Weiteren berichten, wollte erzählen vom Bäcker, der sich seine Abende mit chinesischer Lektüre anzuschärfen gedachte, und von einem Vetter, den es zu einer Schäferin im Tierpark zog, und vom Kummer des Ballkartenverteilers wegen des Sohnes und eines schwer erlangbaren Trautermins und von einer Standesbeamtin, die kein Telefon besaß, aber die schöne Mannsperson hatte kein Ohr für Beiwerk; sie wollte nur Namen und Adresse des Bäckers notieren. Ich gab die noch einmal an, und während der Mann schrieb, fragte er leichthin: Und wer braucht nun das Telefon?
Ich lieferte ihm die Daten der Standesbeamtin, lieferte aber nicht die Geschichte dazu, denn allzu deutlich zeigtedie Zuständige Person, daß sie von Geschichten nichts hören wollte. Geschichten sind eine umständliche Lebensform, und dies war ein Mann der kurzen Wege.
Er nahm den Hörer von einem der vielen Apparate auf seinem Tisch, drückte einen Knopf und wartete, und während er wartete, hängte er seine Nase noch einmal in den Semmelduft, der von meinen Brötchen in sein Zimmer stieg, und für einen Augenblick schien alles Amt von ihm abzufallen.
Aber als er seinen Anschluß bekam, war er nur noch Amt. Er las die Anschrift der Standesbeamtin ins Telefon und fügte hinzu: Eine Sofortsache. Dann legte er auf und sagte zu mir: Sehen Sie zu, daß die Frau heute nachmittag zu Hause ist, und sorgen Sie, daß ab morgen meine Brötchen an dem Nagel hängen. Ein Sortiment wie Ihres hier.
Er zog den Leinenbeutel von meinen Brötchen, und er betrachtete sie nicht anders als liebevoll. Ich darf doch mal? sagte er und nahm von den schärfer gebackenen Schrippen eine, roch an ihr, wog sie auf der Hand, betrachtete sie aus verschiedenen Entfernungen, schien gar in sie hineinzulauschen und biß schließlich hinein. Als wisse er nun erst genau, welch vorteilhaften Handel er eingegangen war, nickte er und sprach beim Kauen: Jawohl, die nehmen wir, ich schicke den Fahrer.
Dann gab er sich ganz meinen Brötchen hin, er verschlang alle sechs, und mir blieb die Zeit, unser Geschäft zu überdenken: Die Frau bekam ihr Telefon, die jungen Menschen ihren Trautermin, der Vetter sein Festbillett, der Bäcker das Lustding aus China, und der Mann, der vor meinen Augen meine Brötchen fraß, würde von nun an immer Brötchen bekommen. Meine Brötchen.
Meine Brötchen? Wieso denn, Moment doch mal, woblieb da ich? Wenn der Persönliche meine Brötchen, wo blieb dann ich? Wenn die Standestante telefonieren konnte, was konnte ich? Wenn die Jungmenschen einander bald amtlich addieren durften, was machte das mir? Wenn mein Vetter Eintritt fand in höhere Tierparkkreise, was sprang für mich dabei heraus? Wenn es den mörderischen Bäcker nun abends lustig anheben würde, was brachte das mir am Morgen? Mich brachte das alles nur um die Aussicht auf die Brötchen an jenem dritten Nagel. Mich
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