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Lebenslauf zweiter Absatz

Lebenslauf zweiter Absatz

Titel: Lebenslauf zweiter Absatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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derzufolge der oberste Buchhalter eines Betriebes und der Chef dieses Betriebes in eine gewisse Gleichrangigkeit gestellt sein sollen. Wieder und wieder hatte ich mir dabei sagen lassen müssen, bei solchem Zustand sei der Direktor einem Rosselenker ähnlich, der es mit einer Kreatur zu tun habe, welche sowohl als Pferd wie auch als Reitersmann zu gelten wünsche.
    Es drängte mich manchmal, dem verbitterten Mann von einem Zentaur-Syndrom zu reden, doch weil ich nur Vertretung war, unterließ ich es. Aber die Mittagspause durfte mir nicht einmal der Chef verkürzen, und zumZeichen meiner Aufsässigkeit stemmte ich den Rücken fester gegen die Lehne der Bank.
    Es ist nun, sagte er, daß wir uns geschichtlich erforschen sollen.
    Immerhin versuchte er einen Tonfall von gleich zu gleich, und ich murmelte, so schläfrig es sich nur machen ließ: Die Mauer von dem Gasbehälter hat etwas Römisches. Jetzt weniger, aber bei spätem Licht.
    Sein Anliegen schien von beträchtlichem Gewicht zu sein, denn erkennbar war er herzlich willens, die S-Bahn-Landschaft hinter unserem Zaun in einem späten Licht zu sehen.
    Die vom Gaswerk werden sich auch erforschen müssen, sagte er, es ist republiksweit. Bei uns, schlage ich vor, macht es die Buchhaltung, weil ihr sowieso alles aufgeschrieben habt.
    Es klang, als wolle er uns das noch einmal durchgehen lassen. Seit er mich in mein zeitweiliges Amt eingewiesen hatte, wußte ich, wie sinnlos es war, ihm vom Unterschied zwischen Betriebschronik und betrieblichem Kontokorrent zu sprechen. Ich sagte nur lahm: Wenn es eine Funktion ist, nicht ich. Ich mache schon Kassierer.
    Das vereinbart sich, antwortete er, und aufreiben müssen wir uns schließlich alle. Beim Markenkleben scheint mir beste Gelegenheit, die menschengebundenen Erinnerungen aufzustöbern.
    Er meinte wohl, mich nun richtig geleitet zu haben, denn mit Schwung stieß er sich von der Pausenbank ab und war schon im Anlauf zu neuen Taten. Aber einen Blick noch warf er auf das vielstöckige Gasgemäuer, und mir warf er ein Wort noch zu: Amphitryon!
    Das hatte ich von meinem Gerede über spätes Licht,und zur Vertretungsbürde hatte ich nun Chronistenpflichten. An der Spitze, schien es, lebte man schneller.
    Um nicht den Eindruck aufkommen zu lassen, es schreite Leiter neben Leiter durch den Erholungspark, ließ ich dem Kollegen Scharrbowski einigen Vorsprung, ehe auch ich mich auf meine Kommandohöhe zurückbegab. Als habe mir das neue Ehrenamt den Blick geschärft, gewahrte ich, wie verlottert im Grunde unser Pärkchen war. Auf der steinernen Tischtennisplatte hatte sich Laub versammelt, und Kraut überwucherte ihren Sockel. Auch der kleine Teich war so verkrautet, daß man kaum noch etwas vom eigenartigen Umriß des Ziergewässers sah. Im Zuge der geschichtlichen Erhebungen, dachte ich, wird man ausforschen müssen, wann unser Werk zu seinem Naherholungsgebiet gekommen ist, und meinen frischen Eifer fand ich sonderbar.
    Im Zimmer des Hauptbuchhalters dann und an Hauptbuchhalters Tisch wie auf Hauptbuchhalters Stuhl vergaß er sich aber rasch, denn der Widerwille gegen den Platz überkam mich stark wie selten. Den Posten, wußte ich, wollte ich nicht geschenkt, und selbst nur geborgt, gewann er nicht an Reizen. Zwar war es geräumiger hier, aber für die Oberen hieß man Buchhalter, und von den Unteren wurde man zu den Häuptlingen geschlagen.
    Es hatte mir nichts genützt, daß ich, um meinen Kolleginnen anzuzeigen, wie sehr ich der Ihre blieb, auch wenn ich jetzt in ein Führungsamt ausgeliehen war, die Schiebetür zwischen ihrem Arbeitsraum und meinem zeitweiligen Amtssitz stets offenhielt. Als sperre ein Vorhang aus Laser sie von mir ab, übertraten die Damen Jäger, Weigel und Woltermann die Schwelle nie, sondernriefen mir zu, was aus der Ebene des Buchhaltens hinauf auf die Höhe des Hauptbuchhaltens mußte.
    Jetzt standen sie wie zu dreistimmigem Necklied aufgereiht, und ihrem gezirpten Bericht entnahm ich, daß ihnen die Begegnung zwischen Werkdirektor und geschäftstragendem Hauptbuchhalter nicht entgangen war. Ergriffen habe es sie gemacht, säuselten sie, einen der ehemals Ihren sogar außerhalb der eigentlichen Arbeitszeit Schulter an Schulter mit einem der anderen zu sehen. Seit an Seit im Sportgehege, sagte Ellen Jäger. Arm in Arm am silbernen See, sagte Helga Woltermann. Und Fräulein Weigel sagte: Wange an Wange im Park.
    Brigadier Woltermann wähnte sich verpflichtet, dem allen noch eins draufzusetzen, und

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