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Lebenslauf zweiter Absatz

Lebenslauf zweiter Absatz

Titel: Lebenslauf zweiter Absatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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sollte. Ein paar Kleinigkeiten nur trennten mich vomBäckerhof, auf dem an güldenem Nagel goldene Brötchen meiner warteten. Ein paar Formalitäten hinderten mich eben noch am Wechsel meiner Verhältnisse. Lediglich ein Telefon sollte es sein, freigegeben von der dafür Zuständigen Person an die Beauftragte für das Personenstandswesen, kürzer und falsch auch Standesbeamtin genannt. Lediglich ein Trautermin mußte eingetragen und beglaubigt werden für einen eigentlich überfüllten Freitag. Lediglich zwei Tierparkballbilletts sollten herausgerückt sein vom Wächter über diese wie auch über das Branntweinmonopol des Staates. Lediglich mußte einem Vetter ein Buch entrissen werden, das in blumigen Wendungen verwegene Andeutungen machte. Lediglich war ein Bäckermeister in die Pflicht zu nehmen, von nun an eines jeden Backtagsmorgens zum Beutelchen für den Dentisten und zum Beutelchen für den Mechaniker an einen dritten Nagel ein Beutelchen für mich zu hängen. Lediglich eine Schaltung war erforderlich im Netz der Beziehungen, um mich aus der Demutsfigur zu entlassen, die man Schlange heißt, so dachte ich, als ich ein letztes Mal in dieser Schlange stand, doch was mir überhaupt nicht beispringen wollte, war eine Idee davon, wie ich die Zuständige Person zu der besagten Schaltung bewegen könnte.
    Bald danach an diesem Morgen saß ich in einem bedeutenden Wartezimmer und verstand mich nicht ganz: Alle Strudel hatte ich umschifft, alle Felsen umfahren, eine Wand nur trennte mich noch von jener Stelle, an der es Telefone gab und infolgedessen und infolgediesem und infolgejenem und infolgeanderem dann auch goldkrustige Brötchen, und ausgerechnet hier wußte ich nicht weiter?
    Aus meiner Tasche stieg in sanftem Waber der Duft des heute noch einmal schwer erstandenen Gebäcks zu mir auf; zwei scharf gebackene und zwei weiche Brötchen und dazu die zwei normalen und heute noch unverzehrten Semmeln wärmten mir durch Schrippenbeutel und Taschenleder und Hosenbein hindurch das Bein, und mein Kopf war heiß, weil die Gedanken in ihm von übergroßer Eile waren.
    Wenn es denn nun zum Treffen kam mit der Zuständigen Person für Telefone, die gleichsam auch die Zuständige Person für meine Brötchen war, was konnte ich ihr sagen? Sollte ich jammern? Wer Telefone vergibt, hat schon allen Jammer dieser Welt gehört. Sollte ich schwindeln? Wer Telefone hat, kann jegliches prüfen. Sollte ich einfach alles offenlegen, also alles sagen? Ich ahnte aber, daß man Zuständige Person nicht wird, wenn man sich alles sagen läßt. Auf solcher Laufbahn hört man ausgewählte Teile an. Was jedoch war für meinen Fall das richtige Teil?
    Ich wußte es nicht und schickte mich gerade an, mich aus meinen Träumen zu trollen, als eine Person durch den Warteraum schritt, die an jedem Schritt als Zuständige Person zu erkennen war. So geht man, wenn man entscheidend ist. So schreitet man, wenn man Schicksal macht. So bewegt sich die Macht. Gar nicht wuchtig, ganz unbedacht. Auf selbstbestimmter Bahn vorbei an Gleichgültigem, das man freundlich ansieht und nicht sieht. In einem Tempo, das in niemandes anderen Belieben steht.
    Da wußte ich ganz, daß hier für mich nichts zu holen war, und ich machte mich bereit, aus dem Wartezimmer zu verschwinden, sobald die Zuständige Person in ihrem Amtszimmer verschwunden war.
    Aber zwei Schritte an mir vorbei und noch dreie entfernt von ihrer Tür, verhielt die Zuständige Person, und sie tat auch das mit jener vollkommenen Selbstverständlichkeit, welche sich aus langer Übung in Befugnis ergibt. Die Person hob ein wenig die Nase, wie auch wir Gewöhnlichen es tun, wenn wir einem Duft nachgehen, und erkennbar wurde ein Mann in mittleren Jahren, ein hochgewachsener und trainierter Mann mit vollem Haar in Grau und Schwarz, ein gut gekleideter, vielleicht eine Spur zu modisch gekleideter Mensch, der jetzt sehr menschlich wirkte, weil er mit offenen Nüstern in der Wolke stand, die von den Brötchen in meiner Tasche ins Wartezimmer aufgestiegen war.
    Der mächtige Mensch sah auf die Tasche und sah, daß ich ihr Besitzer war, und er gab mir einen Wink, ihm zu folgen. Das heißt, weil ich mich der Wahrheit verpflichtet fühle, muß ich sagen: Im Grunde gab er der Tasche den Wink, und mich erreichte dieser nur, weil die Tasche ihm nicht gut alleine folgen konnte. Wir folgten ihm, die Tasche folgte dem schönen Mann, und ich sorgte dafür. Er bot uns einen Sitzplatz an, und er sagte, während er meine

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