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Lebenslauf zweiter Absatz

Lebenslauf zweiter Absatz

Titel: Lebenslauf zweiter Absatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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ein scharfes chinesisches Buch besorge, und ich habe einen verliebten Vetter, der mir das scharfe chinesische Buch hergeben wird auf eine Karte für den Tierparkball. Der Persönliche Beauftragte schüttelte den Kopf und sprach: Zwei Karten!
    Nein, sagte ich, er braucht nur eine.
    Aber der Persönliche Beauftragte entgegnete mit Entschiedenheit: Er braucht zwei! Es ist ein Prinzip meiner Verteilung, niemals Einzelkarten wegzugeben. Der Tierparkball ist etwas für Paare, und wer da als einzelner hin will, bringt das durcheinander. Die Karten von mir nur paarweise!
    Gut, sagte ich, dann geben Sie zwei.
    Es war nur theoretisch, sagte der Beauftragte, ich erläuterte mein Prinzip. Sie haben nichts zu bieten, ich brauche nichts, wir können wunderbar theoretisch bleiben.
    Es interessiert mich, sagte ich, brauchen Sie wirklich nichts? Ganz und gar nichts?
    Der Beauftragte, man merkte es ihm an, sah sich gründlich durch, und am Ende beschied er mich: Ich brauche nichts, und das allein setzt mich in den Stand, so mit Ihnen zu reden. Und die Tatsache natürlich, daß Sie nichts haben. Wenn Sie zum Beispiel Standesbeamter wären und hätten einen freien Trauungstermin für nächste Woche Freitag, dann könnte ich nicht so mit Ihnen reden. Aber Sie sind ja wohl kein Standesbeamter.
    Sowenig wie ich Buchhändler bin, sagte ich. Und Sie brauchen tatsächlich einen Trauungstermin für nächste Woche Freitag?
    Mein Sohn braucht den. Erst sollte überhaupt nicht geheiratet werden, und nun muß es am nächsten Freitag sein. Mein Sohn hat verlangt, ich soll der Standesbeamtin für einen Freitagstermin zwei von meinen Ballkarten anbieten. Wissen Sie, was ich getan habe? Ich habe es getan. Und wissen Sie, was die Kollegin vom Personenstandswesen geantwortet hat? Sie hat gefragt, ob ich weiß, wie lang die Warteliste für Freitagstermine ist. Die ist so lang wie die Warteliste für Telefone. Was sie nicht braucht, sind Ballkarten. Was sie braucht, ist ein Telefon, ein privates.
    Er schien ungläubig in sich hineinzusehen und Zeuge eines Kampfes zu werden, und was er dann zu mir sagte, war eine Mitteilung vom Ausgang dieses Kampfes. Er sagte: Sie haben nicht zufällig Beziehungen zu einem, der Beziehungen zu Telefonen hat?
    Ich aber entgegnete: Und Sie haben nicht zufällig Beziehungen zu einem, der Beziehungen zu Tierparkballkarten hat?
    Er brauchte eine Weile, um seine Frage und meine Frage in ein Verhältnis zueinander zu bringen, und dann gingen in den Augen des Ersten Persönlichen Beauftragten für die Sicherung des Staatlichen Branntweinmonopols alle Lichter an, und er rief ergriffen: Ach, so machen die das!
    Er hatte mich für einen Abenteurer gehalten, als ich zu ihm gekommen war, und als ich von ihm ging, war ich einer. Denn ich ging, die Zuständige Person für Telefone zu suchen. In meinen Taschen trug ich nichts. In meinemHerzen wohnte die Hoffnung auf ein wenig warmes Frühstücksgebäck. In meiner Erinnerung waren Wünsche versammelt, die einander nur berührten, weil es mich gab.
    Ich war der Mann mit kommenden Beziehungen zu frischen Brötchen. Ich war der Mann mit möglichen Beziehungen zu anfeuernder Lektüre. Ich war der Mann mit denkbaren Beziehungen zu Tierparkballbilletts. Ich war der Mann mit vorstellbaren Beziehungen zu einem Freitagstrautermin. Ich war der Mann mit nicht gänzlich ausgeschlossenen Beziehungen zu Telefonen. Ich steckte so voller Möglichkeiten, daß ich mich selber kaum zu glauben wagte.
    Und kaum zu denken wagte ich an die bald fällige Begegnung mit der Zuständigen Person für Telefone. Denn was würde sie zu fordern und ich darauf zu bieten haben? Schließlich, Telefon, das war ja schon ein anderer Ausdruck für Beziehungen. Telefon war Instrument und auch Symbol. Wer über die Vergabe von Telefonen zu sagen hatte, hatte das Sagen sehr. Wie sollte mit dem zu reden sein? Wie sollte ich mit ihm wohl reden?
    Das war eine vertrackte Schwierigkeit, und vor der standen andere, die auch nicht gerade simpel waren. Die Identität wie Adresse der Zuständigen Person herauszufinden war eine davon. Weil es anders auf Episches hinausliefe, sage ich nur kurz: Ich habe sie gemeistert.
    Ich habe auch das Problem gemeistert, wie an die Zuständige Person heranzukommen sei, aber vorher bin ich noch zu Bäcker Schwint gegangen und habe mich in die Schlange gestellt wie an einem beliebigen Morgen, und niemand, denke ich, hat mir angemerkt, daß es mein letzter Aufenthalt unter den geduldig Bedürftigen werden

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