Lebenslügen / Roman
Wagen, nicht mit einem geliehenen Auto –, aber nicht zu ihrer Tante, wohin dann? Um jemanden zu treffen? Decker? War er in dem Zug nach Edinburgh, weil sie sich verabredet hatten? Der Zug entgleist, er ruft sie an, und sie fährt los, um sich mit ihm zu treffen.«
»Und dann?«, sagte Marcus.
»Das ist es, was mir Sorgen macht. Was ist mit Überwachungskameras, da, wo sie wohnt, muss es Kameras geben, in der Straße wohnen viele reiche Leute, und –«
»Moment mal«, sagte Jackson. »Warum interessierst du dich so für diesen Decker? Das verstehe ich nicht.«
»Ja«, sagte Reggie. »Wer ist Andrew Decker? Und was hat er mit Dr. Hunter zu tun?«
Tut mir leid, Mädchen, dachte Louise. Sie hatte nicht diejenige sein wollen, die Reggie von Joanna Hunters Vergangenheit erzählte. Wie erwartet, wurde Reggie durch die Geschichte noch aufgeregter. (»Ermordet? Ihre ganze Familie?«) Das Mädchen war ein Terrier, das musste man ihr lassen. Sie war nicht einmal mit Joanna Hunter verwandt, und doch schien sie wegen ihr besorgter als sonst irgendjemand. Louise glaubte nicht, dass Archie solche Gefühle für sie hegte.
»Herrgott«, sagte Jackson. »Andrew Decker – natürlich. Wie konnte ich nur den Namen vergessen? Wir hatten ein Manöver in Dartmoor. Wir wurden gerufen, um nach dem vermissten Mädchen zu suchen, dem Mädchen, das davongekommen war.«
»Joanna Mason«, sagte Louise. »Jetzt Joanna Hunter.«
»Und jetzt müssen Sie sie wieder suchen«, sagte Reggie.
»Nur weil ihr einmal etwas Schlimmes zugestoßen ist, heißt das nicht, dass es wieder passieren wird«, sagte Louise zu Reggie.
»Nein«, sagte Reggie. »Sie täuschen sich. Nur weil ihr einmal etwas Schlimmes zugestoßen ist, heißt das nicht, dass es nicht wieder passieren wird. Glauben Sie mir, mir passiert ständig was Schlimmes.«
»Mir auch«, sagte Jackson.
»Du machst dir Sorgen, dass dieser Decker hinter Joanna Hunter her ist?«, fragte Jackson Louise. »Scheint mir unwahrscheinlich. Ich habe noch nie gehört, dass jemand so etwas tut.«
»Um ehrlich zu sein, ich fange an, mir Sorgen zu machen, dass Joanna Hunter hinter Andrew Decker her ist.«
»Andererseits«, sagte Louise.
Sie standen auf dem Parkplatz einer Tankstelle. Marcus und Reggie waren im Laden und kauften Snacks, und Jackson hatte sich auf den Beifahrersitz gesetzt. Er strahlte Hitze ab. Louise fragte sich, ob er Fieber hatte, oder ob sie es sich aufgrund ihres eigenen überhitzten Zustands einbildete. Sie wollte, dass er sie in die Arme nahm, sie wollte ihre Knochen weich werden lassen, nur für einen Augenblick. Bei Patrick empfand sie nie so, wollte nie aufhören, Louise zu sein, aber während sie hier auf dem hell erleuchteten Parkplatz saß, wollte sie kapitulieren und vom Schlachtfeld gehen. Gab es eine Möglichkeit, ihn diesmal zu behalten, ihn ins Gefängnis zu sperren, in eine Kiste, einen Safe, damit er nicht wieder fortkonnte?
»Andererseits was?«, fragte er.
»Neil Hunter, Joannas Mann, ist alles andere als unverdächtig. Es könnte genauso gut er gewesen sein, der sie hat verschwinden lassen. Und das Baby. Vielleicht wollte sie ihn verlassen, und er ist durchgedreht.«
»So was passiert.«
»Andererseits … er kennt ein paar interessante Leute.«
»Interessante Leute?«
»Was wir ›Kriminelle‹ nennen. Typen aus Glasgow, über die uns seit geraumer Zeit Gerüchte zu Ohren kommen. Ein Mann namens Anderson. Er will in die Stadt, in legalen Geschäften mitmischen. Private Autovermietungen scheint er besonders zu mögen.«
»Kleine Limousinen?«
»Ja. Und Spielhallen. Fitnessstudios. Schäbige Schönheitssalons. Und wem gehört das alles?«
»Neil Hunter?«
»Bingo. Eine seiner Spielhallen ist letzte Woche abgebrannt und auch noch andere Sachen.«
»Andere Sachen?«
»Fachausdruck. Wir haben ermittelt, ob Hunter vorsätzlich Feuer gelegt hat, aber ich fange ernsthaft an, es zu bezweifeln. Was, wenn er Hunters Familie bedroht? Entführt, behauptet Reggie steif und fest, und bislang hatte sie mit allem recht. Groteskerweise.«
»Dich und die Deinen. Denk drüber nach. Deine nette kleine Frau, dein süßes kleines Baby. Willst du sie wiedersehen? Du bist dran. Das hat Reggie gesagt.«
»Für einen alten Mann hast du ein gutes Gedächtnis.«
»Viel Auswendiglernen in der Schule. Und ich bin erst neunundvierzig. Jünger als dein Mann, glaube ich. Willst du sie wiedersehen? Glaubst du, dass sie irgendwo festgehalten werden?«
»Und die
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