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Lebenslügen / Roman

Lebenslügen / Roman

Titel: Lebenslügen / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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es aussah, Billy mit bloßer Hand den Garaus zu machen.
    Und dann hörte sie es. Es war der urtümliche Laut eines riesigen Wolfes, der in seinem Bau erwacht war. Die Kreatur stand in der Tür, das Fell aufgestellt, die Reißzähne gefletscht, ein lautes Knurren in der wilden Brust.
    Reggie hatte Sadie vergessen. Sie war sofort nach oben gerannt in Verfolgung von Banjos Geisterspur.
    Der Hund stellte sich auf die Hinterbeine und landete mit einem Sprung auf Billy, biss in seinen Unterarm und grub die Zähne hinein, und Billy ließ das Messer fallen und begann Reggie anzuschreien, sie solle den Hund zurückrufen. Reggie schrie, »Fuß, Sadie«, doch vergeblich. Dann tat Jackson etwas, was sie nicht von ihm erwartet hätte, er versetzte dem Hund einen harten Schlag seitlich auf den Kopf, seine Kiefer erschlafften, und er fiel zu Boden wie ein nasser Sack. Was folgte, bekam Reggie nur verschwommen mit. Innerhalb einer Sekunde hatte Jackson Billy zu Boden geworfen, kniete auf seinen Nieren und hielt mit der guten Hand seinen Nacken fest.
    Billys Arm blutete, aber nicht auf lebensbedrohliche Weise, nicht auf eine Weise, dass Reggie ihm zu Hilfe eilen wollte. Wie jeder gute Erste Helfer kümmerte sie sich um die am schwersten verletzte Person, legte sich Sadies Kopf in den Schoß und murmelte beruhigende Worte. Jackson stand auf und sagte zu Billy: »Keine Bewegung. Nicht einmal ein Zucken.« Dann wandte er sich an Reggie: »Dein Bruder, du bist dran. Soll ich die Polizei rufen?«
     
    Sie ließen Billy gehen. Gaben ihm eine zweite Chance oder vielmehr die hundertste. »Er ist mein Bruder«, sagte Reggie. »Schließlich.« Obwohl er Polizist gewesen war, schien es Jackson gleichgültig. Jeder könne sehen, sagte er, »jeder außer vielleicht seiner Schwester«, dass »Billy-Boy« in halsbrecherischem Tempo auf ein schlimmes Ende zuraste, wenn nicht jemand einschritt. Doch, versicherte sie ihm, seine Schwester sah es durchaus.
    »Was wollte er?«, fragte Jackson, und Reggie zuckte die Schultern und sagte: »Ach, alles oder nichts. Dies und das. Sie müssen ins Bett. Es war ein langer Tag.«
    »So kann man es auch nennen«, sagte Jackson und lachte.

High Noon
    S ie müssen ins Bett«, sagte Reggie. »Es war ein langer Tag.«
    »So kann man es auch nennen«, sagte Jackson.
     
    Er konnte nicht schlafen. Das dünne feuchte Kissen und die noch dünneren, feuchteren Laken halfen nicht. (Wer war diese Ms MacDonald gewesen, dass sie in einem so trostlosen Haus gelebt hatte?) Er lag lange wach und horchte, wie Reggie im Wohnzimmer hin und her schritt. Er begriff nicht, was sie tat, und als er nach unten ging, um nachzusehen, räumte sie die Bücher wieder in die Regale wie eine fleißige, kleine nächtliche Bibliothekarin. »Ich räume auf«, sagte sie. »Ich störe sie doch nicht, oder?«
    Er kehrte nach oben zurück und suchte etwas zu lesen, aber er fand nur ein Heft mit unkorrigierten Übersetzungen aus dem Lateinischen. Er war nicht in eine Schule gegangen, in der Latein auf dem Lehrplan stand. Nachdem er sich noch eine Weile hin und her gewälzt hatte, ging er erneut nach unten, um nach etwas lebhafterer Lektüre zu suchen, und fand Reggie bei eingeschaltetem Licht fest schlafend auf dem Sofa vor. Der Hund lag auf dem Boden neben ihr, und als er Jackson hörte, stand er auf und starrte ihn böse an. Er hob die Hände in einer Ich-stelle-keine-Bedrohung-dar-Geste, die den Hund nicht wirklich beruhigte, er verfolgte jeden seiner Schritte mit den Augen. Es war ihm nicht zu verübeln, dass er ihm misstraute, er hatte ihm einen heftigen Schlag auf den Kopf versetzt, doch es schien ihm deswegen nicht schlechtzugehen. Dennoch tat es Jackson leid, dass er ihn geschlagen hatte, der Hund hatte schließlich nur getan, was er auch getan hätte.
    Er fand kein einziges lesbares Buch im ganzen Zimmer. Dann vergaß er das Lesen, weil sein Blick auf Joanna Hunters Handtasche fiel. Sie stand auf etwas, was vermutlich ein Tisch war, worauf jedoch so viel Unrat lag, dass es auch ein Panzer aus dem Zweiten Weltkrieg hätte sein können.
    Er war überrascht, dass Louise die Tasche nicht an sich genommen hatte. Wäre es sein Fall, fände er es höchst interessant, dass eine Frau, die praktisch vom Erdboden verschwunden war, eine Tasche voller Informationen zurückgelassen hatte. Er öffnete die Tasche leise, ununterbrochen beobachtet vom Hund, nahm den dicken Filofax heraus und blätterte darin, bis er gefunden hatte, wonach er suchte. Joanna

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