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Lebenslügen / Roman

Lebenslügen / Roman

Titel: Lebenslügen / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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Haus festhielten, umgebracht hatte, weil sie vorhatten, sie und das Baby umzubringen, aber er war sich nicht sicher. Sie wäre mit Notwehr davongekommen, davon war er überzeugt, doch in dem Haus hatte ein Blutbad stattgefunden, sie wäre berüchtigt gewesen. Für den Rest ihres Lebens wäre sie die Frau, die ihre Entführer getötet hatte, und das Baby wäre der Sohn dieser Frau. Er verstand sie. Sie war dreißig Jahre lang vor einem Alptraum davongelaufen, nur um schnurstracks in den nächsten zu stürzen.
     
    Er war erleichtert, als er den Schlüssel ins Schloss steckte. Er drehte ihn und war zu Hause. Endlich.
    Keine Spur von Tessa. Kein Becher mit frischem Kaffee auf dem Tisch. Keine Croissants. Wo ist denn deine Freundin hingegangen?
     
    Er roch es, bevor er es sah. Kein Kaffee, so viel stand fest. Es war mindestens einen Tag alt, dem Schlachthofgeruch nach zu urteilen. Nicht ein »Es«, ein Mann. Eine Pistole lag neben seinen Füßen, eine russische – Makarow oder Tokarow, er erinnerte sich nicht –, am Golf gab es eine Menge davon, viele Männer hatten sie als Trophäe nach Hause mitgenommen. Vielleicht war er ein Exsoldat, wollte auf saubere Weise allem ein Ende setzen und blies sich die Schädeldecke weg. Nein, nicht sauber, das Gegenteil. Überall Blut, Gehirn, anderes Zeug, er schaute nicht allzu genau hin, wollte den Tatort nicht verunreinigen. Er hatte in den letzten vierundzwanzig Stunden einen Tatort zerstört, diesen sollte er wahrscheinlich bewahren.
    Da der Großteil seines Kopfes fehlte, konnte Jackson nur schwer beurteilen, ob er den Mann kannte. Der Anzug kam ihm bekannt vor, sah sehr nach dem schlaffen Anzug aus, der im Zug neben ihm gesessen hatte, ein Allerweltstyp. Fremder oder nicht, warum brach jemand hier ein und brachte sich um? Jackson war den Anblick von Leichen gewohnt, er hatte in seinem Leben nicht wenige gesehen, was er nicht gewohnt war, war, sie bei sich zu Hause zu finden. Es war nicht eingebrochen worden, Türen und Fenster waren nicht gewaltsam geöffnet worden.
    Vorsichtig und darauf bedacht, nicht in Blut zu treten, näherte sich Jackson der Leiche und zog mit Daumen und Zeigefinger eine Brieftasche aus der Innentasche der Jacke des Toten. Es befanden sich zwei vertraute Fotos und ein Führerschein darin. Er betrachtete das Foto auf dem Führerschein. Er hatte es nie gemocht, er war nicht fotogen, aber auf dem Führerscheinfoto sah er wie ein Kriegsflüchtling aus. Er war versucht, auch die anderen Taschen des Mannes abzusuchen, aber er widerstand. Auf dem Führerschein stand es schwarz auf weiß – der Mann hieß Jackson Brodie.
    Er überlegte, ob er Louise anrufen und ihr mitteilen sollte, dass Andrew Decker nicht mehr durch die Gegend lief, aber schließlich wählte er nur die Notrufnummer.
     
    Während er auf seine neuen Kreditkarten wartete, bat er Josie, ihm Geld zu leihen und es online auf sein Konto zu überweisen (Was hast du jetzt wieder getan, Jackson?). Wenn er an seinen Pass gekommen wäre, hätte er zur Bank gehen und Geld abheben können, aber sein Pass befand sich in der Wohnung, und in die Wohnung durfte er erst wieder, wenn die Polizei sie freigab. »Potenzieller Tatort«, sagte ein Kriminalpolizist. »Wir können nicht mit Sicherheit sagen, dass es Selbstmord war.« – »Ja«, sagte Jackson. »Ich war früher Polizist.«
     
    Bevor er sich an Josie wandte, hatte er Julia angerufen, aber sie interessierte sich nicht für seine missliche Lage. Ihre Schwester Amelia war am Mittwoch auf dem Operationstisch gestorben. (»Komplikationen«, schluchzte sie. »Auf Amelia ist Verlass.«)
    Das Geld reichte für die nächsten paar Tage. Er ging in ein billiges Hotel nahe King’s Cross, während die Wohnung in Covent Garden ein Tatort war, nicht dass er daran dachte, dort wieder einzuziehen. Er konnte sich nicht vorstellen, sich in einem Zimmer, in dem sich jemand buchstäblich das Gehirn herausgeblasen hatte, auf dem Sofa auszustrecken und eine Dose Bier zu trinken.
    Das Hotel war eine Absteige. Letztes Jahr zur gleichen Zeit wohnte er mit Marlee im Le Meurice, machte Weihnachtseinkäufe in Paris, schlenderte abends zu den weihnachtlich dekorierten Schaufenstern der Galeries Lafayette. Jetzt lebte er in einem Flohzirkus. Wie sind die Helden gefallen.
     
    Am Montagmorgen ging er ins Britische Museum.
    Eine Tessa Webb war dort nicht bekannt. »Sie ist Kuratorin«, beharrte er. »In der assyrischen Abteilung.« Keine Tessa Webb, keine Tessa Brodie. Keine

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