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Lebenslügen / Roman

Lebenslügen / Roman

Titel: Lebenslügen / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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nur ein paar Straßen entfernt in dem erbarmungslosen Mittelklasseghetto, in dem es keine Sozialwohnungen, keine Kneipen, überhaupt kein Nachtleben und auch tagsüber kaum Leben gab angesichts des hohen Anteils an Rentnern und älteren Menschen. Nach acht Uhr abends waren die Bürgersteige hochgeklappt, und so weit das Augen reichte, herrschte Rechtschaffenheit. Willkommen im Traum. Louise fühlte sich, als hätte sie sich auf die andere Seite geschlagen, ohne zuvor auf einer Seite gewesen zu sein. »Freu dich über dein Glück«, sagte Patrick, mehr Glückskeks als Zen-Meister.
    »Will Sie nur warnen«, sagte der Mann von MAPPA am Telefon. »Ein kürzlich entlassener Häftling wusste, dass Decker rauskommt, und hat die Geschichte für zwanzig Silberlinge an die Boulevardpresse verkauft. Es wird ein Sturm im Wasserglas, aber sie sollte es erfahren für den Fall, dass sie sie ausfindig machen. Sie werden sie suchen, und sie sind besser im Aufspüren von Leuten als wir.«
    Louise wusste grob über den Fall Mason Bescheid, nicht so detailliert wie Karen, mehr wie über einen Fall aus dem Katalog – Typen, die es auf Frauen und Kinder abgesehen hatten. Sie waren anders als die Typen, die es nur auf Frauen abgesehen hatten, auch anders als die Expartner, die mit ihren Kindern von Klippen und Balkonen sprangen, die Autoabgase über Schläuche ins Wageninnere leiteten, wo die Kinder auf dem Rücksitz saßen, die sie in ihren Betten erstickten, die ihnen mit Messern, Hämmern und Wäscheleinen bis in den letzten Winkel des Hauses nachrannten, damit niemand die Kinder haben konnte, insbesondere nicht ihre Mütter, nur weil sie selbst sie nicht haben durften.
    Das waren diejenigen, die unaufgefordert bei der Unicorn-Magic-Geburtstagsparty ihrer Tochter auftauchten und ihrer Schwiegermutter in den Kopf schossen, während sie in der Küche Götterspeise und Eis austeilte, und dann ihre Schwägerin wie Wild jagten und auch ihr in den Kopf schossen – vor den Blicken zehn schreiender siebenjähriger Mädchen, darunter die eigene Tochter. Es waren drei Needler-Kinder, Simone, Charlotte und Cameron. Zehn, sieben und fünf. Der Vater schlug das Geburtstagskind, Charlotte, mit der Pistole, als sie sich zwischen ihn und ihre Tante Debbie stellen wollte. (»Sie war schon immer ein mutiges kleines Mädchen, unsere Charlie«, sagte Alison.) Debbie musste die Situation begriffen haben, als der erste Schuss in der Küche fiel, denn sie scheuchte die Kinder in den Wintergarten auf der Rückseite des Hauses, und als David Needler auf sie zielte, versuchte sie sie mit ihrem Körper zu schützen, alle zehn. Bis zum letzten Augenblick schrie sie ihm ins Gesicht, was für ein Dreckskerl er war. Tante Debbie verdiente einen Orden.
    Alison war mit Cameron oben gewesen, wo er sich im Bad nach zu viel Zucker und Aufregung übergab, als ihr Ex in diesem Haus voller Frauen und Kinder Amok lief. Alisons Mutter lag tot auf dem Küchenboden, ihre Schwester Debbie lag sterbend im Wintergarten, ihre eigene zehnjährige Tochter wischte ihr den blutigen Kopf mit einer Handvoll Unicorn-Magic-Servietten ab. David Needler versuchte, Simone wegzuschleppen, und eine Nachbarin, die Mutter eines eingeladenen Mädchens, wollte ihn aufhalten. An einem Tag, an dem sie dachte, ihre größte Prüfung bestünde darin, zwei Stunden mit hysterischen Siebenjährigen zu überstehen, musste sie um ihr Leben kämpfen, nachdem David Needler ihr in die Brust geschossen hatte. Sie verlor den Kampf. Drei Leben, drei Tote, die gleiche Strecke wie Andrew Decker.
    David Needler rannte, ohne Kind als Trophäe. Nach dem ersten Schuss hatte sich Alison Needler mit Cameron im Schlafzimmerschrank versteckt.
    Andrew Decker zerstörte nicht die eigene, er zerstörte eine fremde Familie. Er zerstörte Howard Masons Familie. Männer wie Decker fühlten sich minderwertig, waren Einzelgänger, vielleicht ertrugen sie einfach den Anblick nicht, wie Menschen ein Leben lebten, das sie nie hatten. Eine Mutter und ihre Kinder, war das nicht der Kern von allem?
    Sich verstecken oder davonlaufen? Louise hoffte, dass sie dableiben und kämpfen würde. Wenn man allein war, konnte man kämpfen, wenn man allein war, konnte man davonlaufen. Wenn Kinder dabei waren, konnte man weder das eine noch das andere. Man konnte es versuchen. Gabrielle Mason hatte es versucht, ihre Hände und Arme waren mit Wunden überzogen von dem Versuch, Andrew Deckers Messer abzuwehren. Sie hatte bis in den Tod gekämpft, um

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