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Lebenslügen / Roman

Lebenslügen / Roman

Titel: Lebenslügen / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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im unpassenden Moment zitierte.)
    Dann war es vorbei. Sie landeten mit einem Übelkeit erregenden dumpfen Aufprall, Fallschirmspringer ohne Fallschirm, und rollten eine steile Böschung hinunter, bevor sie endgültig liegen blieben. Er schlug sich den Kopf so fest an, dass ihm vor Schmerz fast schlecht wurde. Er lag auf dem Rücken, versuchte zu atmen, manchmal war atmen alles, was man zustande brachte. Manchmal reichte atmen. Er erinnerte sich, wie er nach dem Showdown mit dem Schaf am Nachmittag (wirklich erst an diesem Nachmittag?) auf der Straße gelegen und zum bleichen Himmel emporgeblickt hatte. Es gab Tage, deren Verlauf einen wirklich überraschte.
     
    Der Regen, der auf sein Gesicht fiel, belebte ihn etwas, und er kämpfte sich in eine sitzende Position. Er zitterte vor Kälte und dem einsetzenden Schock. Irgendwo waren Lichter, und ihm wurde klar, dass sie nicht mitten im Nirgendwo waren, neben dem Gleis standen Häuser, und er hörte Stimmen, als die ersten Leute zum Unfallort kamen, Zivilisten, keine Profis, er hörte ihre Verwirrung, als sie auf eine ganz neue Definition von Alptraum trafen.
    Jackson begriff jetzt, was passiert war. Er hatte versucht, das Dach des Waggons zu finden, aber da war kein Dach mehr – es war abgerissen wie der Deckel einer Sardinendose, und Jackson und sein unglücklicher Gefährte waren aus dem Zug und eine Böschung hinunter gefallen und in einem Graben gelandet. Der Mann (Helfen Sie mir) lag in ein paar Meter Entfernung reglos da, das Gesicht im Dreck. Jackson schleppte sich zu ihm. Er hatte nicht die Kraft, ihn umzudrehen, er schien sich beim Sturz den Arm verletzt zu haben, doch er drehte sein Gesicht zur Seite, damit er nicht erstickte. Der Bruder seines Großvaters fiel ihm ein, gestorben an der Somme, im Schlamm erstickt in Passchendaele.
    Oben auf der Böschung tauchte ein Licht auf, eine Taschenlampe, die genügend Licht warf, damit Jackson das Gesicht seines Gefährten sehen konnte. Aus irgendeinem Grund hatte er angenommen, dass es entweder der junge Betrunkene oder der schlaffe Anzug war, und er war überrascht, als er einen der Soldaten wiedererkannte. Er schien ziemlich tot. Überlebe einen Krieg, in dem der Tod hinter jeder Ecke lauert, und stürze dann aus einem Zug der East-Coast-Linie.
    Jackson hatte angenommen, dass die Taschenlampe Rettung signalisierte, aber das Licht verschwand so schnell wieder, wie es aufgetaucht war, und Jackson rief »He«, seine Stimme ein heiseres Krächzen. Er versuchte die Böschung hinaufzuklettern. Er musste mehr Leute aus dem Zug holen. Vorzugsweise Leute, die noch am Leben waren. Auf halber Höhe musste er innehalten, plötzlich war alle Kraft aus ihm gewichen. Irgendetwas stimmte nicht, er war irgendwie verletzt, aber er wusste nicht, wo. Ihm dämmerte ganz unerwartet, dass es schlimm war. Kampfverletzung. Er musste aus medizinischen Gründen vom Schlachtfeld gebracht werden. Er rutschte die Böschung wieder hinunter.
     
    Er spürte, wie seine Lebensgeister nachließen. Bei den wenigen früheren Gelegenheiten, als Jackson dem Tod ins Gesicht gesehen hatte, hatte er sich ans Leben geklammert, weil er sich für zu jung zum Sterben hielt. Jetzt ging ihm auf, dass das nicht mehr wirklich der Fall war, er fühlte sich alt genug dafür.
    Ich schneide dir zulieb in meinen Arm, mit meinem Blut verschreibe meine Seele ich dem Satan. Er würde sich zu Tode zitieren, wenn er nicht aufpasste. O Gott, sein Arm blutete wirklich, pumpte das Zeug raus, als gäbe es kein Morgen. Es gäbe kein Morgen, oder? Er war schließlich doch von der Straße abgekommen. Du bist weit weg von zu Hause, Jackson, dachte er.
    Er schloss die Augen, wenn er eine Minute schlafen könnte, schaffte er es doch bis nach oben. Eine lästige leise Stimme in seinem Kopf versuchte, ihn daran zu erinnern, dass es vielleicht der große, der letzte Schlaf wäre, wenn er jetzt schliefe. Er wog diesen Gedanken kurz ab und beschloss, dass es ihm gleichgültig wäre, wenn er nicht mehr aufwachte. Er war überrascht, er hatte damit gerechnet, dass er am Ende kämpfen würde, aber es war eine Erleichterung, die Augen zu schließen.
    Er war so müde. Seine Gedanken kehrten kurz zu der im Tal schlendernden Frau zurück. Er hatte um ihre Sicherheit gefürchtet, als er sich Sorgen um sich selbst hätte machen sollen. So endete also die Welt. Diese eine Nacht, diese eine Nacht, alle und jede Nacht, Feuer und Sturm und Kerzenlicht, und Christus empfang deine Seele. Oder der

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