Lebenslügen / Roman
nicht das Orakel der Verbrechenslösung.
Das Haus der Hunters wirkte verlassen und still. Louise parkte neben Mr. Hunters protzigem Ungeheuer von schwarzem Range Rover, eine größere Bedrohung des Planeten als mexikanische Himbeeren.
Sie klingelte, und als Neil Hunter öffnete, zeigte sie ihm ihren Polizeiausweis und sagte mit ihrem besten Raus-aus-den-Federn-Lächeln: »Guten Morgen, Mr. Hunter.«
Neil Hunter sah ruppig aus, auf attraktive Weise ausgezehrt. Louise begriff, warum jemand wie Joanna Hunter sich zu ihm hingezogen fühlte. Er war alles, was sie nicht war.
Er trug eine Levi’s und ein altes Red-Sox-T-Shirt, ein Wolf in Wolfskleidern. Sie roch den Whisky vom Vorabend, den seine Poren verströmten. Sowohl sein Gesicht als auch seine Kleidung waren zerknittert, als wäre er gerade aufgestanden, aber Louise roch auch Kaffee und bemerkte die verstreut auf dem Küchentisch liegenden Plastikmappen und Papiere, als wäre er die ganze Nacht auf gewesen und hätte seine Buchhaltung gemacht. Vielleicht hatte er ausgerechnet, ob das Versicherungsgeld für die ausgebrannte Spielhalle reichte, um seine Steuern zu zahlen.
Der Tisch war ein altmodisches Ding, an dem gut und gern eine viktorianische Köchin hätte Teig kneten können. Bridget und Tim hatten ihnen gestern zur Hochzeit einen Brotbackautomaten geschenkt. »Ein gutes Gerät«, sagte Bridget, »nicht eins dieser billigen.« Louise fragte sich, wie lange sie warten müsste, bevor sie ihn in einem Wohlfahrtsladen abgeben konnte. Sie war sich im Leben nicht vieler Dinge sicher, aber sie war bereit, ihr Haus darauf zu verwetten, dass sie sich ins Grab legen würde, ohne je einen Laib Brot gebacken zu haben.
Neil Hunter blickte auf ihren Ausweis und sagte mit einem süffisanten Heben der Augenbrauen: »Kriminalhauptkommissarin«, als wäre ihr Rang amüsant. Er sprach mit einer rauhen Glasgower Stimme, die klang, als hätte er Zigaretten gefrühstückt. Zwanzig Jahre zuvor hätte auch sie seine Launenhaftigkeit attraktiv gefunden. Jetzt hätte sie ihm am liebsten einen Hieb versetzt. Aber andererseits hätte sie im Moment am liebsten jeden geschlagen.
»Haben Sie etwas dagegen, wenn ich kurz reinkomme?«, sagte sie, weiterhin ganz die flotte Person. Sie war über die Schwelle, bevor er protestieren konnte. Polizisten waren nicht wie Vampire, sie warteten nicht, bis sie hineingebeten wurden.
»Ich würde gern mit Ihnen sprechen, über das Feuer in der Spielhalle.«
»Ist der Ermittlungsbericht fertig?«, sagte er. Er schien erleichtert, als hätte er erwartet, dass sie ihm etwas anderes mitzuteilen hatte.
»Ja. Das Feuer wurde vorsätzlich gelegt.« Er warf nicht gerade die Hände vor Schock und Entsetzen in die Luft. Wenn überhaupt war er resigniert. Oder vielleicht gleichgültig. Im Haus war es überraschend still. Kein Zeichen von Dr. Hunter und dem Baby. Oder dem Mädchen. Wenn man davon überhaupt sprechen konnte, was man nicht konnte, dann war das einzig Gute an dem Zugunglück, dass es den reißerischen Geschichten über Andrew Deckers Freilassung und dem derzeitigen Aufenthaltsort von Joanna Mason in die Quere gekommen war. Der Hund tapste in die Küche, schnüffelte an ihren Schuhen und ließ sich auf den Boden fallen.
»Darf ich fragen, wo Dr. Hunter ist?«, fragte Louise Neil Hunter.
»Darf ich fragen, warum Sie das wissen wollen?« Die Frage schien ihn nervös zu machen. Er hatte nicht nervös reagiert, als sie über den Brand gesprochen hatte, aber bei der Erwähnung seiner Frau begann er regelrecht zu zittern. Interessant. Er seufzte ungeduldig und sagte: »Sie ist nach Yorkshire gefahren, eine Tante ist krank. Was hat Jo damit zu tun?«
»Nichts. Ich war gestern hier, hat sie Ihnen das nicht erzählt? Ich habe sie über Andrew Deckers Freilassung informiert.«
»Ach so«, sagte er und verzog das Gesicht. »Er ist draußen?«
»Ja, leider. Hat sie es Ihnen nicht gesagt?« War man nicht deswegen verheiratet? Um die größten, dunkelsten Geheimnisse miteinander zu teilen? Vielleicht hatte sie mehr mit Joanna Hunter gemein, als sie angenommen hatte. »Die Presse hat von seiner Freilassung erfahren, ich wollte Dr. Hunter davor warnen, dass die Sache wieder aufgewärmt wird. Hat sie Ihnen wirklich nichts davon gesagt?«
»Sie hatte es eilig wegzukommen. Vermutlich ein glücklicher Zufall. Wenn sie in Yorkshire ist, kann sie dem Rummel vielleicht entgehen.«
»Ich glaube nicht, dass Yorkshire eine No-Go-Area für die Presse
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