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Lebenslügen / Roman

Lebenslügen / Roman

Titel: Lebenslügen / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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ist«, sagte Louise. »Aber vielleicht tappen sie erst mal im Dunkeln.« Außer sie kämen auf die Idee, nach einer Tante zu suchen. »Eine verwandte oder eine angeheiratete Tante?«, fragte sie. »Mütterlicher- oder väterlicherseits?«
    »Ist das wichtig?«
    Louise zuckte die Schultern. »Ich bin nur neugierig.«
    »Die Schwester ihres Vaters, Agnes Barker. Zufrieden?«
    »Danke«, sagte Louise. Sie grinste ihn an. Das Wort »Lügner« stand ihm unübersehbar ins Gesicht geschrieben. »Sie sprach davon, sich eine Weile zu entziehen.«
    Neil Hunter wirkte plötzlich müde, bedeutete ihr, sich an den Tisch zu setzen und sagte: »Kaffee?« Er schüttete Bohnen in den Trichter einer teuren Espressomaschine, die vom Mahlen der Bohnen bis zum Aufschäumen der Milch alles machte und aussah, als würde sie die Kaffeepflanzen auch noch wachsen lassen, wenn man sie nett darum bat. Der Duft war zu gut, um zu widerstehen, Louise würde morgens lieber auf einen Arm verzichten als auf Kaffee. Das war ein unschöner Gedanke. Sie erinnerte sich, wie sie gestern Abend einen Arm vom Gleis aufgehoben und verzweifelt nach dem Besitzer gesucht hatte. Einen kleinen Arm.
    »Wo in Yorkshire?«
    »Hawes«, sagte Neil Hunter.
    »Haus?«
    »H-a-w-e-s. In den Dales.«
    Joanna hatte keine Tante erwähnt, als Louise sie gestern besuchte (aber warum sollte sie?). Vielleicht hatte er recht, und die Tante war zufälligerweise zum richtigen Zeitpunkt krank geworden, damit sie sich entziehen konnte. Eine sehr praktische Tante.
     
    »Also …«, sagte Louise heiter. »Fällt Ihnen jemand ein, der Ihre Spielhalle angezündet haben könnte, jemand, der vielleicht etwas gegen Sie hat?«
    »Es gibt jede Menge Leute, die ich vergrault habe«, sagte Neil Hunter.
    »Könnten Sie uns eine Liste zusammenstellen?«
    »Machen Sie Witze?«
    »Nein. Außerdem brauchen wir alle Ihre Unterlagen, geschäftliche wie private. Und Ihre Versicherungspolicen.«
    »Sie glauben, dass ich das Feuer wegen des Geldes von der Versicherung gelegt habe«, sagte er erschöpft, eine Feststellung, keine Frage.
    »Haben Sie?«
    »Glauben Sie, ich würde es Ihnen sagen, wenn ich es getan hätte?«
    »Heute Vormittag wird jemand mit einer richterlichen Anordnung kommen und Ihre Unterlagen beschlagnahmen«, sagte Louise. »Das wird doch kein Problem sein, oder? Die Unterlagen?« Sie mochte es, wenn Männer wie Neil Hunter ihr gegenüber pampig wurden, weil letztlich sie die Polizistin war und nicht die Männer. Karo, Herz, Pik, Kreuz, richterliche Anordnung. Trümpfe.
    »Nein«, sagte er. »Kein Problem, Schätzchen.« Glasgower, die sich selbst auf den Arm nahmen, wie waren sie?
    Das Telefon klingelte, und Neil Hunter starrte es an, als hätte er es noch nie zuvor gesehen.
    »Probleme, Schätzchen?«, sagte Louise.
    Er schnappte das Telefon, gerade als sich der Anrufbeantworter einschalten wollte, sagte, »Haben Sie was dagegen?«, und verließ mit dem Telefon die Küche, ohne ihre Antwort abzuwarten. Bevor er die Tür schloss, konnte sie einen kurzen Blick ins Wohnzimmer werfen. Sie sah die Duftheckenkirschen und Duftenden Fleischbeeren in der blauweißen Vase. Sie sahen tot aus.
     
    Sie ging mit ihrer Tasse Kaffee zu Joanna Hunters Pinnwand und studierte sie. Auch als sie das letzte Mal hier war, hatte sie sie betrachtet und war anschließend zu Office World am Hermiston Gate gefahren und hatte eine für ihre eigene Küche gekauft, aber es war ihr beim besten Willen nichts eingefallen, was sie hätte daran pinnen wollen.
    An Joanna Hunters Pinnwand hingen eine Menge Fotos vom Baby und dem Hund, aber nur eins von Neil Hunter, zusammen mit Joanna Hunter in den Ferien. Sie sahen beide wesentlich jünger und unbeschwerter aus als jetzt. Da war eins von Joanna Hunter (damals Mason) als Jugendliche in Sportkleidung, wie sie durch ein Zielband rannte, und eins als Teilnehmerin des London-Marathons, auf dem sie in besserer Form war, als Louise unter diesen Umständen je hoffen konnte zu sein. Dann ein Foto von Joanna Hunter als Medizinstudentin in Edinburgh, wie sie, umgeben von anderen im gleichen Trikot, mit einem triumphierenden Grinsen eine Trophäe hochhielt. Alle trugen das gleiche Sweatshirt mit den Buchstaben » SCUE «, eine vertraute Abkürzung, aber Louise fiel nicht ein, wofür sie stand. Irgendetwas mit der Universität von Edinburgh. Louise hatte an dieser Universität ihren Abschluss in Anglistik gemacht, 1985, vier Jahre vor Joanna Hunter. Vor einem Leben. Vor mehreren

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