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Lebenslügen / Roman

Lebenslügen / Roman

Titel: Lebenslügen / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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Reggie wusste, was sie dachte, häusliche Gewalt und so weiter. Sie dachte nicht: »Sie ist ausgerutscht und in die Dusche gefallen, als zwei Idioten sie bedrohten.«
    »Ich schwör’s.«
    Sie hätte Kommissarin Monroe von Rotkopf und Blondie erzählen können, aber das wäre nicht hilfreich bei der Suche nach Dr. Hunter (und Psycho-mit-überbordender-Phantasie et cetera). Und vielleicht war ihre Drohung ja ernst gemeint (Erzähl der Polizei nichts von diesem kleinen Besuch oder, rate mal). Was, wenn sie sie beobachteten? Was, wenn sie sie in Starbucks beim Kaffeetrinken ausgerechnet mit einer Kriminalhauptkommissarin sahen? Sie würden nie glauben, dass es nicht um sie ging. Als Reggie vor Ms MacDonalds Haus sagte, »Hier ist es«, sagte Kommissarin Monroe, »Oh, ich verstehe, es ist gleich vor deiner Tür passiert«, als würde sie endlich glauben, dass Reggie sie wegen des Zugunglücks nicht angelogen hatte.
    »Fast«, sagte Reggie.
    »Okay«, sagte Kommissarin Monroe, »ich muss weiter, hab noch was zu erledigen.«
    »Mach Sachen«, sagte Reggie.
    Zum Abschied winkte sie Kommissarin Monroe zu, die die Stirn runzelte und nicht winkte, als sie davonfuhr.
     
    Reggie schob das widerspenstige Fenster im Schlafzimmer so weit wie möglich nach oben, um frische Luft hereinzulassen. Am Gleis arbeiteten Männer im Scheinwerferlicht, begleitet vom unablässigen Rattern und Kreischen des schweren Geräts. Ein riesiger Kran hievte einen Waggon von den Schienen. Der Waggon baumelte in der Luft wie ein Spielzeug. Ein großer, knochenweißer Mond ging am Himmel auf und schien gleichgültig auf die unnatürliche Szenerie.
    Es war zu laut, um auch bei geschlossenem Fenster im vernachlässigten Gästezimmer auf der Rückseite des Hauses zu schlafen, und in Ms MacDonalds Schlafzimmer vorn zu schlafen, in dem es nach schmutziger Wäsche und halb verbrauchten Medikamenten roch, kam nicht in Frage.
    Sie sah sich im Spiegel auf der Frisierkommode. Die Beule auf ihrer Stirn wurde schwarz.
    Sadie hatte die letzte Stunde damit verbracht, im Haus dem Geistergeruch von Banjo nachzuspüren, aber jetzt saß sie unglücklich auf dem Boden im Wohnzimmer. Reggie vermutete, dass Haustiere glaubten, jemand sei vom Antlitz der Erde verschwunden, wenn er wegging. Hier im einen Augenblick, fort im nächsten. Dr. Hunter sagte, Sadie habe Glück, weil sie nicht wusste, dass sie eines Tages sterben würde, aber Reggie meinte, sie wollte es wissen, denn dann könnte sie es verhindern. Natürlich konnte niemand das Sterben verhindern, aber man konnte einen vorzeitigen Tod durch die Hand von Idioten verhindern. (»Nicht immer«, sagte Dr. Hunter.)
    Reggie suchte in Ms MacDonalds spärlich bestückten Schränken und fand eine halbe Schachtel alter Ritz Cracker, stieß jedoch auf Gold, als sie eine Großmarktpackung Karamellwaffeln von Tunnock’s entdeckte. Sie teilte sich die Ritz Cracker mit Sadie und aß eine Waffelschnitte.
    Würde Kriminalhauptkommissarin Monroe wirklich nach Dr. Hunter suchen? Sie zweifelte irgendwie daran. Warum war sie am Dienstag zu Dr. Hunter gekommen? »Ach, alles und nichts«, sagte sie. »Wegen eines Patienten.« Sie war eine gute Lügnerin, aber das war Reggie auch. Erkenne dich selbst.
    Alles und nichts. Dies und das. Hier und dort. Die Leute in Reggies Umgebung verhielten sich definitiv ausweichend.
     
    Reggie beschloss, auf dem Sofa zu schlafen. Sadie sprang auf einen Sessel und drehte sich mehrmals im Kreis, bis sie zufrieden war, und ließ sich dann mit einem lauten Seufzer fallen, als schüttelte ihr Körper den Tag ab. Im Sofa befand sich eine kleine Mulde, wo Banjo immer gelegen hatte, aber das war irgendwie tröstlich. Es war ein unglaublich schwieriger Tag gewesen. Schwere Zeiten in der Tat.
    Irgendwann in der Nacht verließ Sadie ihren Sessel und legte sich zu Reggie aufs Sofa. Reggie vermutete, dass auch sie Trost brauchte. Sie schlang den Arm um den Hund und horchte auf den lauten Herzschlag in Sadies Brust. Der Hund roch nach nichts anderem als Hund. Reggie hatte nie zuvor darüber nachgedacht, aber normalerweise roch Sadie nach Dr. Hunters Parfum. Dr. Hunter musste Sadie oft umarmen, damit sie ihren Geruch annahm. Wenn mit Dr. Hunter alles in Ordnung wäre, hätte sie angerufen, wenn nicht um mit Reggie zu sprechen, dann mit Sadie (Hallo, Hündchen, wie geht’s meinem großartigen Mädchen?).
    Wo war Dr. Hunter? Elle revient. Was, wenn nicht?
    Warum war Dr. Hunter aus ihren Schuhen geschlüpft und

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