Lebenslügen / Roman
schlechten Propfen zur Folge.)
Sie blickte auf die Uhr, halb zehn. Viel zu spät fürs Theater. Außerdem hatte er nicht gesagt, welches Theater – das Lyceum? Das King’s? Offenbar sollte sie es wissen. Sie hörte die zweite Nachricht ab, die der ersten auf dem Fuße folgte. »Danach gehen wir in Bennet’s Bar, wenn du kannst, komm doch auch.« Vorher, danach, er tat alles, damit sie zu ihnen stieß. Bennet’s Bar hieß wahrscheinlich, dass sie ins King’s gegangen waren. Sie konnte es schaffen, wenn sie es versuchte.
Sie versuchte es nicht. Stattdessen öffnete sie die Flasche Bordeaux, die in der Küche stand, trug sie ins Wohnzimmer, wo sie einen von Patricks und Samanthas Kristallkelchen füllte, legte die Füße aufs Sofa und sah die Wiederholung einer alten CSI -Episode im Fernsehen. Sie spürte, wie sich die Anspannung des Tages allmählich löste. Es war, als wäre sie wieder Single. Es war ein gutes Gefühl.
In CSI wurde Stokes gerade lebendig begraben. Louise holte den Rest Eis aus dem Gefrierschrank und löffelte es aus der Schachtel. Sie mochte kein Eis, aber immerhin zählte es nicht, weil es in den Nachtischmagen kam (danke, Dr. Hunter). Rotwein und Cherry Garcia, eine waghalsige Kombination, so es je eine gegeben hatte. Louise spürte schon, wie der Kater einsetzte.
Grissom hielt seinen Ausweis hoch und rief jemandem »Polizei« zu. Auf ihrem Schreibtisch hatte sie nur Kopien von Versicherungspolicen gefunden, keine Buchhaltungsunterlagen, nichts, was mit Neil Hunters Geschäften zu tun hatte. Sie mochte, wie Grissom ging, wie ein Bär mit einer Windel. »Schauen wir uns die Fakten an«, sagte Louise zu ihm. »Neil Hunter hat Versicherungen abgeschlossen, nicht nur für seine Unternehmen, sondern auch für seine Frau, die eine coole halbe Million wert ist.« (Nicht schlecht, Patrick hatte nur einen Splitter glitzernden Kohlenstoff für eine zweite Frau zahlen müssen.) Eine halbe Million würde Neil Hunters Probleme mehr als gut abfedern. Sie hatten ihn im Verdacht, wegen des Geldes bereits einmal ein Feuer gelegt zu haben, was, wenn er fähig wäre, sich zum gleichen Zweck seiner Frau zu entledigen? Aber für die Versicherung bräuchte er eine Leiche, oder? Und eine Leiche gab es definitiv nicht. Weil Joanna Hunter bei einer kranken Tante war, rief sie sich ins Gedächtnis. Es gab keine Verdachtsmomente außer Neil Hunters angegriffenen Nerven und einem eigensinnigen Mädchen mit überbordender Phantasie.
Reggie sagte, dass Joanna Hunter, als sie sie das letzte Mal gesehen hatte, ein schwarzes Kostüm, ein weißes T-Shirt und schwarze Pumps trug, in unterschiedlichen Graden von Chic die Uniform berufstätiger Frauen in der ganzen Welt. Louises Outfit. Schwestern unter dem Kostüm. Joanna Hunter trug noch immer das Kostüm, sagte Reggie. Warum hatte sie sich nicht umgezogen? Wie medizinisch schwerwiegend mochte der Notfall der Tante sein, dass sie sich nicht etwas Bequemes zum Autofahren anzog? Sie kam von der Arbeit nach Hause, verabschiedete Reggie an der Tür, ging nach oben, zog Schuhe und Strumpfhose aus – und dann?
Der Verdächtige, mit dem Grissom sprach, jagte sich plötzlich in die Luft.
CSI war ein Zweiteiler und endete, als es am spannendsten war, Stokes war noch immer lebendig vergraben, und allmählich ging ihm die Luft aus. Louise goss sich noch ein Glas Wein von der Farbe alten Bluts ein.
Ein paar Stunden später wurde sie geweckt, als die Theaterbesucher zurückkehrten. Sie betraten lautstark das Wohnzimmer, und Louise schloss die Augen wieder und tat so, als würde sie schlafen.
»Sie schläft«, sagte Patrick, ohne die Stimme zu senken.
Louise hörte das Kristallglas gegen die leere Bordeaux-Flasche stoßen, als er beides vom Teppich aufhob. Sie fragte sich, ob er sie küssen oder eine Decke über sie breiten oder sie auffordern würde, ins Bett zu gehen, aber sie hörte nur, wie die Tür zufiel, und dann Bridgets schweren Schritt auf der Treppe.
Natürlich lautete die richtige Antwort, »Ich liebe dich auch«, und nur um Haaresbreite hatte sie sich davon abhalten können, sie Jackson zu geben.
Gefahr im Verzug
U nd dann nichts. Die Zeit war verloren in einem schrecklichen dunklen Abgrund des Gehirns, in den Joanna nie wieder hinuntersteigen wollte. Sie nahm an, dass die fehlende Zeit gefüllt war von vielen, wenn nicht Hunderten von Leuten, Leuten, die Aufgaben zu erfüllen hatten – Leuten, die sie baten, Ereignisse zu beschreiben, Fotos anzusehen,
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