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Lebenslügen / Roman

Lebenslügen / Roman

Titel: Lebenslügen / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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Kommissarin Monroe auf der Stelle aus Starbucks gerannt. Sie sah nicht wirklich aus wie eine Polizistin, unter ihrem Wintermantel trug sie Jeans und einen weichen Pullover, die gleiche Freizeitkleidung wie Dr. Hunter.
    Ihr Haar war zu einem Pferdeschwanz gebunden, für den es eigentlich noch zu kurz war, und sie schob immer wieder eine widerspenstige Strähne hinters Ohr. »Ich lasse es wachsen«, sagte sie. »Ich hab’s ganz kurz schneiden lassen, aber das hat mir nicht gestanden.« Mum sagte immer, dass sich Frauen am Ende einer gescheiterten Beziehung die Haare drastisch schneiden ließen. Mums Freundinnen tauchten immer mit kurz geschorenen Köpfen auf, aber Reggies Mutter wusste, dass ihr Haar ein geschätzter Aktivposten war. Doch sie war so verknallt in Gary, dass sie sich die Haare hätte schneiden lassen, hätte er sie darum gebeten. Sie hätte so gut wie alles getan, um Gary zu halten, auch wenn er vor allem deswegen so attraktiv war, weil er nicht der-Mann-der-vor-ihm-kam war. Man stelle sich vor, er hätte gesagt: »Ich würde dich gern mit kurzen Haaren sehen, Jackie.« Es war schwer, Gary Worte in den Mund zu legen, er war so maulfaul. (»Du kannst dich gut ausdrücken, Reggie«, hatte Dr. Hunter einmal zu ihr gesagt, und sie hatte es als großes Kompliment aufgefasst. »Oh, sie ist ein Plappermaul, unsere Reggie«, sagte Mum.) Und dann wäre Mum zu ihrem Friseur gegangen (Philip – »schwul, aber verheiratet« laut Mum) und hätte gesagt, »Schneid es ab, Philip, Zeit für eine Veränderung«, und Philip hätte ihr einen hübschen kurzen Bubikopf geschnitten, bis unterhalb der Ohren, oder noch sicherer, einen Bürstenschnitt wie Kylie nach dem Krebs, und – tadaa – Mum würde in diesem Augenblick Hackfleisch in einer Pfanne in der Küche in Gorgie rühren und sich auf EastEnders freuen.
    Reggie fragte sich, ob Kommissarin Monroe jemals ein gebrochenes Herz gehabt hatte. Sie schien nicht der Typ dafür zu sein.
    Sadie war ein kleines Problem gewesen, aber letztlich hatte Kommissarin Monroe sie (mit der schweren Topshop-Tüte) auf den Rücksitz ihres Wagens verfrachtet, von wo der Hund ihnen, als sie auf der George Street davongingen, nachgesehen hatte, als versuchte er, ihre Bilder auf seine Retina zu brennen. Kommissarin Monroe war auch nicht der Typ für Haustiere, aber dann sagte sie: »Ich hatte eine Katze«, als hätte sie ihr etwas bedeutet.
    Reggie war dankbar für das Muffin, sie war am Verhungern – abgesehen von Mr. Hussains Tic Tacs und dem Marsriegel (keine ausgewogene Ernährung) hatte sie den ganzen Tag nichts gegessen, den morgendlichen Toast hatte sie wieder ausgeworfen, bevor sie ihn verdaut hatte. Sie wollte sich auf das Muffin konzentrieren, deswegen sprach sie schnell – der Wagen, das Handy, das moosgrüne Stück Decke, die Schuhe, das Kostüm, Dr. Hunters ganzes unwahrscheinliches Nicht-Dasein, als wären Außerirdische herabgestiegen und hätten sie davongetragen. Die Entführung durch Außerirdische erwähnte sie Kommissarin Monroe gegenüber natürlich nicht.
    Als sie mit ihrer Geschichte zu Ende war, gähnte Kommissarin Monroe und sagte: »Entschuldigung. Ich bin sehr müde, ich war die ganze Nacht auf.«
    »Wegen des Zugunglücks?«
    »Ja.«
    »Ich auch.«
    »Wirklich?« Kommissarin Monroe warf ihr einen zweifelnden Blick zu, als überlegte sie, ob sie sie nicht doch in die Psycho-mit-überbordender-Phantasie-Schublade stecken sollte.
    »Ich habe einen Mann wiederbelebt«, sagte Reggie und verkroch sich tiefer in der Schublade. »Ich habe ihm das Leben gerettet.« Die Schublade knallte zu.
    Es war das erste Mal, dass sie von dem Mann sprach. Sie hatte ihn den ganzen Tag wie ein Geheimnis mit sich herumgetragen, und es tat gut, ihn aus ihrem Kopf in die Welt zu entlassen, obwohl die Vorstellung, kaum war sie ausgesprochen, unwahrscheinlich schien. Die Ereignisse von gestern Abend wurden stündlich unwirklicher, dann dachte sie an Ms MacDonalds Leiche, die sie am Morgen identifiziert hatte, und die Ereignisse schienen weniger unwirklich.
    »Ja?«, sagte Kommissarin Monroe. Reggie hätte genauso die Entführung-durch-Außerirdische-Karte spielen können, denn Kommissarin Monroe hätte beim besten Willen nicht skeptischer dreinblicken können.
    »Woher hast du die Beule?«, fragte sie und betrachtete eingehend Reggies Stirn.
    Reggie schob ihr Pony darüber und sagte: »Das ist nichts, ich habe nicht geschaut, wohin ich gehe.«
    »Bestimmt?«
    Sie schien besorgt.

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