Lebenslust: Wider die Diät-Sadisten, den Gesundheitswahn und den Fitness-Kult (German Edition)
sonst ein anständiges Leben geführt, warum habe ich das denn alles getan? Nein, Sie müssen die Bilder verwechselt haben!«
Das falsche Klischeebild, gegen das sich früher Katholiken vergeblich zur Wehr setzten, sie, die Papisten, glaubten, durch gute Werke das ewige Leben zu erwerben, ist heute die unbestrittene und gefeierte Leitideologie der Gesundheitsreligion: Von nichts kommt nichts, wer rastet, der rostet, man muss etwas tun für die Gesundheit. Inzwischen heiratet man sogar für die Gesundheit. »Heiraten dient der Gesundheit«, lautete eine Anzeige im »Deutschen Ärzteblatt«. Die Herstellbarkeit der Gesundheit durch gute Werke extensiver und intensiver Gesundheitspflege ist ein Grunddogma der Gesundheitsreligion. Das passt gut zusammen mit dem Machbarkeitsdenken der Moderne. Nichts ist unmöglich … Dennoch steht diese gigantische hoffnungsvolle Bewegung, deren letztes Ziel der Sieg über den Tod ist, täglich vor der nüchternen Tatsache, dass alle Menschen sterben. Und ähnlich wie die Utopie einer zukünftigen klassenlosen Gesellschaft die darbenden sozialistischen Massen um die Gegenwart betrog, so speisen die lebenslangen vergeblichen Opfer des einzelnen Gesundheitsgläubigen, der dennoch sterben muss, die ohnmächtige Wut ob der Ungerechtigkeit des vertragsbrüchigen Schicksals. Wer das Ewige-Leben-Jetzt erzwingen will, erreicht nicht das ewige Leben, sondern die »Apocalypse now«. Da sind die »Vertragsverhältnisse«, die der fromme Katholik mit seinem Lieblingsheiligen hat, erheblich erfreulicher. Sie betreffen gewiss die Fürbitte bei Gott, in dessen Angesicht der Heilige ja bereits lebt, um ewiges Leben, aber auch um dieses und jenes sonst. Doch bei allen Bitten und Bemühungen gilt immer die gottergebene Schlussformel: »Aber nicht mein, sondern Dein Wille geschehe, oh Gott.« Da man letztlich alles auch über den Tod hinaus von der Gnade Gottes erwartet, bleibt eine letzte Gelassenheit. Die ist dem Gesundheitsgläubigen verwehrt. Denn wenn der körperliche Tod der entscheidende Feind ist und alle Bemühungen ein Leben lang dem Kampf gegen ihn gelten, dann ist sein Sieg von umso erschütternderer und endgültiger Unerbittlichkeit und eine höchst persönliche unverzeihliche Niederlage, die man sich obendrein selbst zuzuschreiben hat. Denn – Hand aufs Herz – wer hat schon alles, wirklich alles getan, um gesund zu bleiben? Auf diese Weise gibt es heute auch Schuld nur noch im Bereich der Gesundheitsreligion. Während manche Vertreter der Altreligionen am liebsten über Sünde und Schuld gar nicht mehr reden, feiern Sünde und Schuld im Gesundheitskult fröhliche Urständ. »Sie sind sterbenskrank? – Kein Wunder bei Ihrem Lebensstil!«
Das Leben des Gesundheitsgläubigen endet also in der Regel ziemlich trostlos. Überprüft werden muss aber die Behauptung, es würde vorher dennoch mehr Spaß machen. Gewiss, bisher spricht nicht viel dafür, wenn man nicht humorlose Pflichterfüllung für einen Ausbund an Lebenslust hält. Jedenfalls wird die manchmal gehörte trotzige These, die ermüdenden religiösen Verrichtungen des Gesundheitsanhängers seien in sich das reine Vergnügen, von den Fitness-Vertretern selbst gar nicht erst ernsthaft aufgestellt. Sie sprechen immer bloß von »fit for fun«, das heißt, dass man sich fit mache, um danach Spaß zu haben. Wenn man aber eine durchschnittliche Arbeitswoche ansetzt, unaufschiebbare lästige private Tätigkeiten hinzurechnet und dann die zahlreichen kräfteaufreibenden gesundheitlichen Verpflichtungen berücksichtigt, so muss man davon ausgehen, dass verständlicherweise die meisten Gesundheitsgläubigen danach zum Spaß beim besten Willen keine Lust mehr haben.
Dass der Gesundheitskult Spaß mache, ist also offensichtlich bloß ein geschickter Werbegag oder eine Selbstberuhigung. Philosophisch würde man sagen, der Spaß ist eine regulative Idee des Gesundheitskults, kommt aber als Sache selbst dabei nicht vor. Lebenslust? Fehlanzeige! Im Gegenteil, die Abtötung von Lust und Laune gehört zum Repertoire. Je mühseliger, desto besser.
Wenn Sie irgendwo im Park einem Menschen begegneten, der sich selbst geißelt, würden Sie vielleicht zunächst geneigt sein, ihn für verrückt zu halten. Treten Sie aber näher und erfahren, dass diese Art der Hautbearbeitung neuesten amerikanischen Studien zufolge die Nierendurchblutung fördert, das Kreislaufsystem reguliert und allgemein entschlackt, ganz zu schweigen von der Erhaltung der
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