Lebenslust: Wider die Diät-Sadisten, den Gesundheitswahn und den Fitness-Kult (German Edition)
ärztlichen Weisung zuschreibt. Jedenfalls hat er ein verdammt schlechtes Gewissen, wenn er ungehorsam ist. Denn nicht mit Höllenstrafen droht der Hausarzt, sondern, ganz ohne es auszusprechen, mit viel Schlimmerem, mit dem definitiven Tod.
Und damit ist er benannt, der Feind, gegen den sich der Schweiß aller Tüchtigen richtet. Der Teufel der Gesundheitsreligion ist der Tod. Ihn zu besiegen sind alle aufgerufen. Zwar sind die Erfolge aller bisherigen Bemühungen eher bescheiden, um nicht zu sagen komplett ausgeblieben. Soweit man weiß, sind selbst Menschen, die ziemlich gesund gestorben sind, definitiv tot geblieben. Aber jener Motor, der die Gesundheitsreligion antreibt, scheint die uralte Sehnsucht des Menschen nach ewigem Leben zu sein, die uns schon aus den Höhlenzeichnungen Südfrankreichs vor zehntausenden von Jahren lebendig entgegentritt. Irgendwie hat das schmerzliche Geheimnis des Todes alle Religionen angetrieben, es zu bewältigen. Die Gesundheitsreligion will es definitiv lösen – und zwar mit den Mitteln der Moderne, mit dem grenzenlosen Optimismus, alles, was man will, herstellen zu können. So erscheint bei Licht besehen Gesundheit nicht das letzte Ziel zu sein, sondern das entscheidende Mittel, das ewige Leben hier und jetzt zu erreichen, koste es, was es wolle. Was ist schon die Lust am Leben gegen das ewige Leben!
Man beobachte die verhärmten Gesichter mancher Menschen auf dem Trimm-dich-Pfad, die die letzten Reserven aus ihrem sehnigen Körper herauspumpen. Lebenslust? Fehlanzeige! Den prallen diesseitigen Lebensgenuss strahlen die nun wirklich nicht aus. Es geht eben nicht um das begrenzte diesseitige Leben. Letztlich geht es um viel mehr, ja um alles, nämlich um das ewige Leben. Natürlich wird das niemand so zugeben – noch nicht einmal vor sich selbst. Und natürlich hat keiner eine genaue Vorstellung von so einem ewigen Leben. Aber nur ein solch extremes Ziel kann diesen völlig überproportionalen Aufwand für die Gesundheit erklären. Sicher, für das ewige Leben liefen die Menschen im Mittelalter monatelang nach Santiago de Compostela, da wird man doch noch das ein oder andere Mal auf dem nahe liegenden Trimm-dich-Pfad seine Runden drehen dürfen! Allerdings wallfahrtete der mittelalterliche Gläubige allenfalls einmal im Leben nach Santiago, der moderne Gesundheitsgläubige rennt jedoch jahrelang Tag für Tag durch die Wälder. Denn die Gesundheitsreligion kennt keine Gnade. Es wäre gewiss leicht nachzuweisen, dass der moderne Gesundheitsgläubige seiner Religion mehr Zeit, Kraft und finanziellen Aufwand widmet als der mittelalterliche Mensch seinem Glauben.
Einem Trimm-dich-begeisterten Freund, der eigentlich Humor hat, habe ich einmal gesagt, ich sei sicher, dass er aufgrund seiner offensichtlich intensiven Bemühungen um seine Gesundheit älter werden würde, als er geworden wäre, wenn er das alles nicht getan hätte. Da strahlte er. Allerdings, so fügte ich sofort hinzu, hätte ich den Verdacht, dass er genau so viel länger leben werde, wie er mit hängender Zunge durch die Wälder gerannt sei. Auf diese Bemerkung hin versuchte er, mich freundschaftlich zu erwürgen. Selbst humorvollen Menschen pflegt im Zusammenhang mit den Verrichtungen des Gesundheitskults der Humor abhanden zu kommen. Die locker hingeworfene Warnung, bekanntlich sei der Gründer der Trimm-dich-Bewegung auf dem Trimm-dich-Pfad an Herzinfarkt verschieden, löst in der Regel wütende Proteste aus: Herzbeschwerden habe der schon vorher gehabt, deshalb habe er ja die Bewegung gegründet und so weiter. Das ändert aber natürlich nichts an der Tatsache. Tatsache ist inzwischen auch, dass Jogging zur Sucht werden kann. Heroinartige Neurotransmitter lösen im Gehirn den »Kick« aus. Schnell wird dann auch das noch als Beweis dafür angeführt, dass Jogging wirklich irgendwie wahnsinnig Spaß mache. Dieses Argument liegt auf dem Niveau der Behauptung, der Vollrausch eines Alkoholikers sei Zeichen seiner unbändigen Lebenslust. Man mag all diese Gesundheitsbetriebsamkeit für eine skurrile Marotte einiger Leute halten, tragisch wird das Ganze aber, wenn man einem solchen Menschen eine Krebsdiagnose überbringen muss. Für jeden ist eine solche Diagnose schlimm. Hier aber trifft man auf völlige Fassungslosigkeit, denn das ist sozusagen Wegfall der Geschäftsgrundlage: »Das kann nicht sein, Herr Doktor, ich habe zeitlebens nicht geraucht, keinen Alkohol getrunken, habe mich immer fit gehalten und auch
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