Lebenslust: Wider die Diät-Sadisten, den Gesundheitswahn und den Fitness-Kult (German Edition)
Menschen, die langsam eine Kette durch die Hände gleiten lassen und nach vorne auf ein Andachtsbild schauen. Diese Kette nennt man Rosenkranz. Er stammt aus dem Buddhismus, wurde vom Islam übernommen und kam dann in der katholischen Kirche zu Ehren. Die Perlen der Kette sind ein Anhaltspunkt für immer dieselben geistlichen Übungen. An meinem täglichen Weg zur Arbeit wurde kürzlich ein Fitnessstudio gebaut, an einem Wegkreuz versteht sich, um beschauliche Wanderer und hastige Autofahrer an das Gesundheitliche zu erinnern. Von außen kann man hineinschauen, und was man sieht, ist eigentümlich vertraut. Man sieht hier Menschen, die starr nach vorne auf ein »Andachtsbild« schauen, einen Videoschirm, und still auf einem Tretrad vor sich hin treten. Kommunikation untereinander findet nicht statt. Zwar wird hier die (Fahrrad-)Kette mit den Füßen bewegt, aber auch diese gesundheitsreligiösen Übungen sind immer dieselben. Wenn jemand von einem anderen Stern käme, würde er zweifellos rein vom äußerlichen Phänomen her Andachtskapellen und Fitnessstudios gemeinsam als Stätten für persönliche Riten wahrnehmen.
2. Im Vorhof des Tempels – Schönheit, Sex und Tod im Sonderangebot
Die Fitnesswelle ist eine Bewegung purer Werkgerechtigkeit. Durch gute Werke näher mein Gott zu Dir! Und wenn das nicht funktioniert, hat man selbst etwas falsch gemacht, vor allem zu wenig, zu unkonzentriert, zu unpräzise. Der Fitnessjünger ist seiner eigenen Gesundheit Schmied. Nötigenfalls macht er mehr von dem, was nachweislich nicht funktioniert. Die Feststellung: »Da kann man nichts machen«, gilt als Eingebung des Teufels. Ein solches Leben ist anstrengend und entbehrungsreich. Daher hat man eine neue Bewegung ins Leben gerufen: Die Wellnesswelle. Wellness klingt weniger anstrengend und ist weniger anstrengend. Man erstrebt das Wohlergehen nicht in erster Linie durch eigene gute Werke, sondern vielmehr durch gnädige Zuwendung anderer. Man will es sich gut gehen lassen. Für einen Moment könnte man denken, hier habe die Lebenslust ein Reservat gefunden. Doch weit gefehlt, es handelt sich mehr um Fitness light. Der zeitliche Aufwand ist keineswegs geringer, so dass für das Leben, eine notwendige Voraussetzung für Lebenslust, gar keine Zeit mehr bleibt. Die Lebensvorschriften aber, denen man sich gesundheitsgierig unterwirft, sind sogar strenger. Da man ja schon nicht so viel Anstrengendes tut, um gesund zu bleiben, muss man umso mehr Angenehmes unterlassen, um wenigstens nicht krank zu werden. Bei Fitness stellt man die Entbehrungen selbst her, bei Wellness erleidet man sie.
a) Schön sterben – die Welt als Schönheitsfarm
Nun spielt bei Wellness ein Begriff eine größere Rolle, der bisher noch nicht auftauchte, obwohl er mit der Gesundheitsreligion sehr viel zu tun hat: Schönheit. Im Wellness-Center wird auch etwas für Ihre Schönheit getan. Denn Schönheit gilt als das sichtbare Zeichen von Gesundheit und wie Gesundheit – von nichts kommt nichts – als selbstverständlich zuverlässig herstellbar. Auch der Schönheitsbegriff ist religiös aufgeladen. Früher schon wurde eine schöne Frau als Diva – das heißt schlicht Göttin – bezeichnet, heute, im Zeitalter der wiederkehrenden Astrologie, sieht man in den Sternen Götter. Und so heißen Schönheiten Stars, Sterne.
Doch mit der Schönheit ist es so eine Sache. Was als schön gilt, das ist Moden unterworfen und hat eigenartigerweise auch mit Reichtum zu tun. Dass die weiblichen Feistigkeiten auf Rubensgemälden damals als Schönheiten galten, lag an der Überzeugung der Barockzeit, dass dicke Menschen eine größere Überlebenschance hätten. Und wer reich genug war, konnte viel essen. Schon damals also gab es eine Verbindung von Schönheit und Gesundheit. Doch ausschlaggebend blieb der Reichtum. Wer im 19. Jahrhundert reich genug war, brauchte nicht mit seiner Hände Arbeit draußen sein Tagwerk zu verrichten. Ein gebräuntes Gesicht galt als Zeichen für das Angewiesensein auf niedere Arbeiten, folglich als hässlich. Das Schönheitsideal war die vornehme Blässe, die man durch Sonnenschirme sorgfältig zu erhalten pflegte, wenn man zur Promenade das Haus verließ. Heute ist gebräunte Haut ein Zeichen dafür, dass man sich einen langen und fernen Urlaub leisten kann. Heute ist folglich gebräunte Haut schön.
Bei einem so launischen Schönheitsideal kann es keine ewigen Götter geben und so ist die glamourträchtige Teilnahme am allgemeinen
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