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Lebenslust: Wider die Diät-Sadisten, den Gesundheitswahn und den Fitness-Kult (German Edition)

Lebenslust: Wider die Diät-Sadisten, den Gesundheitswahn und den Fitness-Kult (German Edition)

Titel: Lebenslust: Wider die Diät-Sadisten, den Gesundheitswahn und den Fitness-Kult (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Lütz
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erlaubte Form spießiger und faschistoider, dumpfer Fremdenfeindlichkeit, alles getarnt als Satire. Proteste verhallen ungehört: Aber, aber, so heißt es dann, eine tolerante Gesellschaft muss doch ein bisschen Spaß vertragen!
    Nicht so jedoch bei der Gesundheit. Alle religiösen Lästertabus sind hier inzwischen sicher etabliert. Machen Sie mal den Versuch, sich in einem gesundheitsbewegten Kreis fröhlich als Raucher zu outen und wie beiläufig den Satz fallen zu lassen: »Warum soll meine Lunge eigentlich älter werden als ich?« Nach einer Schrecksekunde, in der das Ungeheuerliche des Anschlags den Anwesenden langsam bewusst wird, können Sie mit allen Reaktionen rechnen, die im frühen Mittelalter auf Gotteslästerung standen: mindestens Ausschluss aus der Gruppe der Wohlmeinenden, wenn nicht gar hemmungslose Aggressionen. Auch der Satz »Wer früher stirbt, lebt länger ewig« kann sogar in christlichen Kreisen Bestürzung auslösen: »Beim besten Willen, das geht doch zu weit …« Über Gesundheit und was damit zusammenhängt lästert man nicht. Die These in Umberto Ecos »Der Name der Rose«, dass das Lachen einer tönernen Religion gefährlich werden kann, trifft zu. Nur ist dem christlichen Mittelalter der deftige Scherz, sogar die saftige Kirchenzote nicht fremd gewesen, und dem Christentum hat das nicht geschadet. Wirklich gute Religionen haben Humor. Der heilige Philippus Neri machte neuen Aspiranten seines Ordens zur Auflage, sich einige Wochen öffentlich grenzenlos lächerlich zu machen. Wer das konnte, dem traute man den humorvollen Ernst zu, der echte Religiosität kennzeichnet.
    c) Schluss mit lustig – die neuen Bußübungen
    Der Humor also ist des Gesundheitsgläubigen Sache nicht, aber kasteien, das kann er sich sehr wohl – grenzenlos sogar. Mondäne Kurkliniken bieten ärztlich kontrollierte annähernde Null-Diät zu horrenden Tagessätzen. Bei der Aufführung des »Julius Cäsar« von Shakespeare im Kurtheater entfällt Cäsars Satz: »Lasst dicke Männer um mich sein, mit glatten Köpfen und die nachts gut schlafen«, wegen möglicher Erregung öffentlichen Ärgernisses. Diätbewegungen gehen als wellenförmige Massenbewegungen über Land, in ihrem asketischen Ernst die Büßer- und Geißlerbewegungen des Mittelalters bei weitem übertreffend. Nie hätte ein mittelalterlicher Beichtvater gewagt, seinem Beichtkind Bußwerke aufzuerlegen, die heute jeder Hausarzt, ohne mit der Wimper zu zucken, dem ganz gesunden Herrn Müller, AOK-Patient aus Frankfurt-Höchst, auferlegt. Da gibt es Verhaltensvorschriften im Stil verschärfter Ordensregeln, die das ganze Leben betreffen, von morgens bis abends, von Arbeit bis Freizeit, von Essen bis Trinken.
    Die im Mittelalter verbreitete Benediktregel ist geradezu eine Anleitung zum Schlendrian im Vergleich zu dem, was in unserer Zeit mancher Hausarzt mit milder Strenge »vorschlägt«. Man denke nur an Klosterlikör, Klosterbrauereien und andere leberschädigende Üblichkeiten und man denke an die ausgeklügelten Fastenspeisen, fleischlose kulinarische Höchstleistungen, die, angespornt durch den in der christlichen Fastenzeit gebotenen Verzicht auf Fleisch, einen wichtigen Beitrag katholischer Länder zur Esskultur Europas darstellen: Salzburger Nockerln, Schokolade, Kaiserschmarren, um nur einige tröstliche Erfindungen des fastenden Katholizismus zu nennen. Wilhelm Busch über den heiligen Antonius von Padua: »Man rechnet meistens zu den Lasten das kirchliche Gebot der Fasten. Man fastet, weil man meint, man muss. Für Toni aber war’s Genuss! – Bouillon und Fleisch und Leberkloß, das war ihm alles tutmämschos. Dagegen jene milden Sachen, die wir aus Mehl und Zucker machen, wozu man auch wohl Milch und Zimt und gute, sanfte Butter nimmt – ich will mal sagen: Mandeltorten, Dampfnudeln, Krapfen aller Sorten, auch Waffel-, Honig-, Pfannekuchen – dies pflegt’ er eifrig aufzusuchen.« Über den Verdacht, dass der Katholizismus vielleicht erheblich lebensfroher ist, als man gemeinhin denkt, später noch Näheres. Zurück zu Herrn Müller. Nichts von all diesen erfreulichen Gaumenfreuden empfiehlt der Hausarzt dem AOK-Patienten aus Frankfurt-Höchst. Vielmehr rät er von nahezu allem ab, was zur Steigerung der Lebenslust beitragen könnte. Und das Erstaunliche ist: Der Patient (von »patiens« = der Leidende) hält sich daran, mit rührender Ergebenheit, wobei er Misserfolge stets eher der eigenen Inkonsequenz als einem Mangel der

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