Lebenslust: Wider die Diät-Sadisten, den Gesundheitswahn und den Fitness-Kult (German Edition)
natürlich-ökologisch-ganzheitlich-exklusiv-medizinisch geprüft. Die Ergebnisse sind so, wie sie sein müssen, wenn man unbedingt etwas werden möchte, was man nun einmal beim besten Willen nicht werden kann: jünger. Wie die alten Ägypter ihre Überzeugung vom ewigen Leben der göttlichen Pharaonen durch deren Mumifizierung mit Salben und Tinkturen augenfällig machten, so werden heute die Produkte der Kosmetikindustrie eingesetzt, um so etwas wie ewige Schönheit und ewige Jugend zu konservieren. Die entsprechenden Miniaturstaffeleien zur Herstellung von solch verderblicher Ewigkeit machen fast die Hälfte des mitgeführten Handgepäcks bei Flugreisen aus. Was die obligatorische Bräune betrifft, ist freilich kürzlich ein hässliches Gespenst aufgetaucht, das die Werbeidee, schön sei auch gesund, gefährdet. Die Zunahme an Hautkrebs bei zu viel Hautbräunung schafft einen unlösbaren Widerspruch für gesundheitsgläubige Schönheitsproduzenten und wird daher möglichst ignoriert beziehungsweise am Strand nicht ausgesessen, sondern angemessenerweise ausgelegen. Dabei wäre diese Warnung auch unter ästhetischen Gesichtspunkten hilfreich. Es gibt Menschen, die sich aus der Überzeugung, braun bedeute schön, so lange bräunen, bis das runzelige schwarzbraune Ergebnis erbarmungswürdig aussieht. Männer sind inzwischen vom Schönheitskult nicht weniger betroffen als Frauen. Da sind die Schauspieler, die mit 70 immer noch im Leben und auf der Bühne der jugendliche Verführer sein wollen und denen der inzwischen freundschaftlich verbundene Schönheitschirurg das verführerische Lächeln so einoperiert hat, dass sie bei Beerdigungen ihrer Altersgenossen wegen ihres unabstellbaren absurden Lächelns unangenehm auffallen.
Die gewaltige und unausrottbare religiöse Sehnsucht nach ewiger Existenz in Schönheit und Jugend träumt ihren Traum vor den verschwiegenen Spiegeln unserer Gesellschaft. Während die religiöse Verinnerlichungsbewegung der »Devotio moderna« im 15. Jahrhundert die Produktion einer Unmenge kleiner Reisealtärchen anregte, die auch auf Reisen religiöse Verrichtungen erlaubten, zeigen die Taschenspiegel unserer narzisstischen Gesellschaft das einzige Objekt, dem man Ewigkeit zuschreiben will, das eigene starr geschminkte Ich.
Nur für Momente wird diese verschämte, aber unbändige Sehnsucht öffentlich. Ein solches Ereignis trat am 31. August 1997 ein. In einem Straßentunnel von Paris verunglückte Lady Diana, die Princess of Wales, tödlich. Was sich auf diesen plötzlichen Vorfall hin zutrug, war ohne jedes Beispiel. Der Tod der Prinzessin wurde das Ereignis, das in der gesamten bisherigen Menschheitsgeschichte die gesamte lebende Menschheit zum gleichen Zeitpunkt am meisten erschüttert hat. Allenthalben war vom Verdunsten der Religiosität die Rede. Und der Tod schien für aufgeklärte Menschen ein wissenschaftlich gut beschreibbarer, wenn auch bedauerlicher Endpunkt des menschlichen Lebens zu sein. Doch am 31. August 1997 brach weltweit eine ungeahnte religiöse Welle los. Englische Pfarrer wurden mitten in der Nacht von verzweifelten Jugendgruppen herausgeklingelt, die ultimativ verlangten, man möge ihnen die Kirche öffnen, damit sie für Diana beten könnten. Der moderne rationale Betrachter, für den Trauerzeremonien allenfalls zum Trost der Hinterbliebenen da sind, da der Tote bekanntlich tot ist, musste erleben, dass eine Trauerwelle ohne jedes Maß sogar nicht davor zurückschreckte, die nächsten Angehörigen moralisch niederzumachen. So sah sich die englische Königin gezwungen, Dinge zu sagen und zu tun, von denen jeder wusste, dass sie sie freiwillig niemals gesagt und getan hätte. Kostbarste Blumen, mit denen man zahllosen, wenn nicht allen englischen Altenheimbewohnern eine Freude hätte machen können, moderten zu unübersehbaren Bergen aufgehäuft vor dem Wohnsitz der Verblichenen dahin. Und das Trauerzeremoniell war eine mit wenigen christlichen Ornamenten garnierte gigantische Inszenierung kollektiver Verzweiflung über den Tod.
Dabei war Lady Diana nicht irgendwie herausragend. Sie war intellektuell nur mit mäßigen Geistesgaben gesegnet und, was moralische Aspekte betrifft, war ihr Mitleid mit den Schwachen in der Welt zwar vielfach ins Bild gebracht, aber es gab keine Anzeichen dafür, dass sie beabsichtigte, ihr Vermögen den Armen zu spenden. Sie war also im Grunde in jeder Hinsicht Durchschnitt, aber monarchisch verklärter, medienvervielfältigter
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