Lebenslust: Wider die Diät-Sadisten, den Gesundheitswahn und den Fitness-Kult (German Edition)
geradlinig in die Gosse, sondern eher aus der inneren Unstetigkeit in die Geradlinigkeit. Insofern war es zwar abwechslungsreicher, aber doch weniger unterhaltsam. Sein eigener Orden hatte in unseren Tagen allerdings den Eindruck, dass er so ganz normal auch nicht gewesen sei, der heilige Ignatius. Einen der bekanntesten deutschen Psychiater, Professor Dr. Kurt Heinrich, beauftragten Jesuiten mit einem Gutachten über den Geisteszustand des Gründers, nicht ohne den leisen Hinweis, es wäre gar nicht schlimm, wenn sich da etwas Krankes zeigte. Es zeigte sich nichts Krankes. Der Psychiater kam für sein Fachgebiet zu dem Schluss, dass Ignatius von Loyola ein außerordentlich genialer Mensch war, krank gewesen sei er aber nicht. Dennoch hatte er einmal im Krankenhaus gelegen. Und in gewisser Weise war das sein Glück. Denn bis zu diesem Zeitpunkt war er nichts als ein arroganter spanischer Offizier und Frauenheld, der im plattesten Genuss der Schickeria seiner Zeit vor sich hin lebte. Eine Kriegsverletzung warf ihn aufs Krankenlager. Nichts konnte er tun, der getriebene Umtriebige, außer zu lesen. Und er las. Mit der gleichen Intensität, die ihn durch die Seichtheiten des Lebens getrieben hatte, las er Bücher, ergreifende Bücher von großer spiritueller Kraft: Ludolf von Sachsen, Thomas a Kempis. Und er ließ sich ergreifen, er machte einen Neuanfang mit seinem Leben, ließ die Waffen liegen und wurde zu einem der großen spirituellen Lehrer des Abendlands. De facto wurde der Jesuitenorden im Krankenhaus gegründet, de jure viel später anderswo. Nicht dass Kriegsverletzungen die heilige Krankheit der Jesuiten seien, aber ohne jene Bombenexplosion auf der Zitadelle von Pamplona am 20. Mai 1521 wäre der Jesuitenorden nicht gegründet worden. Krankheit als Glücksfall, vorausgesetzt man hält den Jesuitenorden für einen Glücksfall.
Krankenhäuser scheinen geradezu Brutstätten neuer geistiger Bewegungen zu sein. Als zu Beginn des 13. Jahrhunderts ein leichtlebiger, verwöhnter Sohn aus betuchtem Hause von schwerer Krankheit gezeichnet in einem mittelitalienischen Krankenhaus lag, da passierte etwas Merkwürdiges. Er wurde nachdenklich, er ließ sich spirituell ergreifen, er änderte sein Leben – und er änderte die Welt bis in unsere Tage. Weit über 50000 Menschen leben heute ganzheitlich engagiert, radikal arm und in der Freude am christlichen Glauben nach seinem Vorbild. Es war der heilige Franziskus von Assisi. Zu allem Überfluss war er im Gegensatz zum heiligen Ignatius auch noch ziemlich verrückt. Seine Ideen hätten ihn heute sehr schnell in Konflikt mit dem Ordnungsamt gebracht. Aber er lebte nicht in Deutschland, sondern in Italien und er lebte im lebensfrohen Mittelalter und nicht im ordentlichen 21. Jahrhundert. Sinnlich war der Glaube des heiligen Franz, die Schöpfung liebte er und sah in ihr Gott selbst am Werk. Er sprach mit Vögeln und hielt ihnen sogar Predigten. Machen Sie das einmal am helllichten Tage in einer Kleinstadt in Ostwestfalen. Sie werden in kürzester Zeit liebevolle, aber ziemlich bestimmte »Hilfe« bekommen. Unbändige Lebensfreude strahlte der heilige Franz aus. Ansteckend war das und ist es bis heute. Doch ohne Krankheit kein Franziskanerorden. Im besten Falle hätte das tändelnde »Französchen« (= Franziskus) bei berstender Gesundheit die Tuchproduktion in einem mittelitalienischen Provinznest etwas hochgefahren. Spätestens mit der Pest im 14. Jahrhundert wäre das ganze Unternehmen dann Bankrott gegangen.
Der heilige Franziskus hat Gott sei Dank einen anderen Weg eingeschlagen, er hat die freiwillige Armut gewählt und sozusagen den Bankrott zum System gemacht. Der Franziskanerorden lebt eigentlich aus der heiligen Freude am permanenten lustvollen Bankrott.
Man kommt also nicht umhin festzustellen, dass die katholische Kirche der Krankheit viel zu verdanken hat. Aber auch die Kunst, was wäre sie ohne die ekstatischen Verrücktheiten vieler psychischer Grenzgänger, die das Äußerste Gestalt werden ließen. Michelangelo lässt Gott in einer fast gequälten Körperwindung die Welt erschaffen. Künstlerische Schöpfung kann geradezu schmerzhaft, leidvoll und fast verrückt anmuten, aber gerade dadurch reißt sie den Betrachter aus der Banalität des Normalen. Es ist wohl ein Irrtum, die Kunst von Kranken allzu sehr zu überhöhen. Psychisch kranke Menschen sind nicht per se bessere Künstler als Gesunde. Aber es gibt psychisch Kranke, die besonders
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