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Lebenslust: Wider die Diät-Sadisten, den Gesundheitswahn und den Fitness-Kult (German Edition)

Lebenslust: Wider die Diät-Sadisten, den Gesundheitswahn und den Fitness-Kult (German Edition)

Titel: Lebenslust: Wider die Diät-Sadisten, den Gesundheitswahn und den Fitness-Kult (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Lütz
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verdientes Geld und viel kostbare Zeit in jene Glück verheißenden Wege nach nirgendwo, die schon allein deshalb über die höchsten Weihen verfügen, weil sie »Psycho« sind.
    Mit seriöser Psychotherapie hat das alles natürlich nicht das Geringste zu tun. Aber auch hier schert sich die grenzenlose Hoffnung vieler Menschen nicht um die nüchternen Realitäten einer Wissenschaft, die sich inzwischen außerordentlich differenziert hat und sich als Wissenschaft ihrer Grenzen sehr wohl bewusst ist. Und eine solche Grenze liegt genau vor dem Glück. Man kann getrost davon ausgehen, dass eine Psychotherapie, die das Glück verheißt, den Namen nicht verdient, mit dem sie Geschäfte macht. Doch die religiöse Sehnsucht der Menschen nach ewiger Glückseligkeit ist gebieterisch, und was sie fordert, ist Erfüllung. Durch Religion. Gesundheitsreligion. Während im Medizingetriebe die nonverbalen Riten und Verhaltensweisen der Altreligionen Verwendung finden, sucht die Psycho-Sehnsucht ausdrückliche verbale Glaubenslehren für den Weg zum Heil. Von der Psychologie erwartet die Gesundheitsgesellschaft ihre systematische Theologie, ihre Dogmatik und natürlich ihre Spiritualität.

I. Über Ursachen: Sie haben ein Problem? – Da hätt’ ich noch eins für Sie!
    1. Eine neue Kirche
    Man kann allerdings nun wirklich nicht behaupten, die seit etwa hundert Jahren betriebene Psychologie hätte solche absurden Erwartungen mit letzter Entschiedenheit zurückgewiesen. Schon Sigmund Freud hatte eine Vorliebe für kirchliche Üblichkeiten. Er verteilte Ringe an seinen engsten Schülerkreis, wie in der katholischen Kirche Bischofsringe vergeben werden, er exkommunizierte Vertreter gegenläufiger Meinungen, wie seinen Meisterschüler C. G. Jung, er verfasste autoritative Hirtenschreiben und berief Konzilien seiner Anhänger ein, deren Ergebnisse nur bei seiner Zustimmung Gültigkeit erlangten. Und er behauptete zunehmend, nicht nur gewissen psychischen Störungen durch seine Methode Linderung oder Heilung zu verschaffen, sondern er hielt sie für beliebig universalisierbar. In einer vorneuzeitlichen Weise beanspruchte er, mit seiner Glaubenslehre die ganze Welt zu erklären und zu beeinflussen, Politik und Kunst, Wissenschaft und Technik, Religion und Heilkunst. Nur wer als wirklich eingeweiht galt in die Psychoanalyse, der durfte mitreden – und dafür war nach altem Ordensbrauch nicht bloß ein theoretisches Studium ausreichend, es bedurfte einer Noviziatszeit durch praktische Lehranalyse. Oder, wie der heilige Benedikt der modernen Psychotherapie wörtlich formulierte: »… dass niemand das Recht hat, in die Psychoanalyse dreinzureden, wenn er sich nicht bestimmte Erfahrungen erworben hat, die man nur durch eine Analyse an seiner eigenen Person erwerben kann.« Die Lehranalyse dauerte ungefähr genauso lang wie das Noviziat im Benediktinerorden. In gewisser Weise erinnert die psychoanalytische Kur übrigens an die katholische Beichte. Rückhaltlose Offenheit war gefordert. Während freilich der Beichtende im Beichtstuhl zwar schuldgebeugt, aber immerhin noch aufrecht kniet, legte Freud seine Gläubigen gleich flach. Der psychoanalytische Beichtstuhl ist die Couch. Man könnte die Parallelen noch weiterführen. Die Psychoanalyse Freuds ist jedenfalls als Religionsersatz denkbar geeignet. Dennoch soll hier nicht bestritten werden, dass die psychoanalytische Sichtweise als Behandlungsform gewisse Erfolge erzielen kann, und es gibt viele seriöse Psychoanalytiker, die sich gerade durch eine gründliche Selbstanalyse die narzisstischen Gefährdungen ihres Berufes bewusst machen und jedes Guruangebot von Patienten zurückweisen.
    Manche anderen Psychotherapierichtungen haben da auf dem Weg zur Ersatzreligion noch erheblich weniger Bremsen eingebaut. Gerade in ihren Anfängen treten sie gerne als Wahrheitslehren auf, die mit Alleinvertretungsanspruch alles in den Schatten stellen, was bisher da gewesen ist. Heftige Glaubenskämpfe, Abspaltungen, Sektenbildung, Ketzerverfolgung sind die Konsequenz und all das kennt die Geschichte der modernen Psychotherapie zuhauf. Bei solch erbitterten Kämpfen zwischen verschiedenen Formen der Rechthaberei war vor allem eines ausgeschlossen: Lebenslust. Inzwischen hat sich der Himmel über den Streitparteien geklärt. Kluge Vertreter aller Seiten sind sich darüber im Klaren, dass die unterschiedlichen Richtungen verschiedene mehr oder weniger nützliche Sichtweisen auf psychische Probleme bieten.

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