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Lebenslust: Wider die Diät-Sadisten, den Gesundheitswahn und den Fitness-Kult (German Edition)

Lebenslust: Wider die Diät-Sadisten, den Gesundheitswahn und den Fitness-Kult (German Edition)

Titel: Lebenslust: Wider die Diät-Sadisten, den Gesundheitswahn und den Fitness-Kult (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Lütz
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danach sehnen sich die Menschen zur Auffüllung ihres religiösen Vakuums mit ungestümer Glaubensbereitschaft. Seriöse Psychoanalytiker haben sich solchen Zudringlichkeiten nachdrücklich verweigert. Andere freilich haben den Guruangeboten einer aufgeheizten psychogläubigen Öffentlichkeit nicht standgehalten und verkünden gut verkäufliche »wahre« Psychotheorien über Gott und die Welt. Besonders beliebt ist solcher unwissenschaftlicher Missbrauch bei gewissen Vertretern der Altreligionen, die angesichts der Flaute beim Kirchenbesuch im Psychobereich religiöse Morgenluft wittern. Sie schwingen sich auf zu psycho-theologischer Allkompetenz. Dass die prompt einsetzende Verehrung dann nicht Gott, sondern ihnen persönlich entgegengebracht wird, nehmen sie leidend in Kauf. Besonders windschnittig hat sich der inzwischen aus der Kirche ausgetretene Eugen Drewermann diesem Trend an den Hals geworfen. Mittlerweile scheint er sogar selbst zu glauben, ein auserwählter und absolut einzigartiger Prophet mit unfehlbarer Einsicht in alle Wahrheit zu sein. Kaum jemand bringt es fertig, so hasserfüllt »Andersgläubige« und vor allem alle seine Kritiker dafür in Grund und Boden zu prügeln, dass sie die Botschaft der Liebe, wie er sie letztgültig verkündet, nicht genug beachten. Hier werden sie gleich gemeinsam missbraucht, die Psychotherapie und die Religion.
    Doch große Psychotheorien sind gefragt, die alles und jedes erklären und genau wissen, wie es eigentlich, ursprünglich und wahrhaft sein sollte, wenn es nicht so wäre, wie es bedauerlicherweise ist. Wissenschaftlich kommen diese Elaborate daher, aber wissenschaftlich sind sie nicht. Denn solche Lehren sind nach Karl Popper nicht an der Wirklichkeit falsifizierbar. Damit sind sie übrigens auch als therapeutische Technik nicht mehr entwicklungsfähig, denn Misserfolge werden niemals der Wahrheitslehre selbst zugerechnet, nach dem Motto: »Die Partei hat immer Recht.« Vielmehr sind bei einem solchen Denken natürlich die Patienten selber an therapeutischen Misserfolgen schuld, die als »nicht ausreichend therapiemotiviert«, »nicht hinreichend introspektionsfähig« eingestuft werden, um nur einige gängige Formulierungen aus dem Arsenal der Kundenbeschimpfung zu nennen.
    Die Kundschaft freilich ist keineswegs bloß das passive Opfer. Sie ist es, die im Psychobereich nicht nur Heilung von Krankheiten erwartet, sondern das Heil schlechthin. »Ist mein Mann heilbar?« Diese Frage kann bei einer Grippe eindeutig mit »Ja!« beantwortet werden, auch wenn das nicht heißt, dass der Patient nicht irgendwann einmal wieder eine Grippe erleiden könnte. Im Psychobereich bedeutet die Frage nach Heilbarkeit aber so gut wie immer, ob denn sichergestellt werden kann, dass zum Beispiel die schwere phasenhafte Depression im Leben nie mehr auftreten wird. Das kann natürlich niemand sicherstellen. Dennoch geht die Phase so sicher vorbei wie eine Grippe, und der Patient ist in aller Regel danach zunächst einmal gesund. Aber wenn es um Psychisches geht, reicht das nicht. Da meinen Menschen mit »Heil« »ewiges Heil«, nicht mehr und nicht weniger.
    Solchen utopischen Erwartungen kommen gewisse Fachleute ihrerseits bedenkenlos nach. Und so herrscht im Psychobereich der utopische Gesundheitsbegriff nicht nur in der Praxis wie bei der körperlichen Gesundheit. Vielmehr führen dogmatische Psycho-Theorien ganz ausdrückliche Bilder vom psychisch gesunden Menschen mit sich, die in dieser idealen Form für niemanden wirklich erreichbar sind. Dadurch tritt auch bei Menschen, die mit Nietzsche durchaus in der Lage sind, »ihren wesentlichen Beschäftigungen nachzugehen«, bei der Begegnung mit derlei Theorien das unbestimmte Gefühl der Unzulänglichkeit ein. So etwas fördert nicht gerade die Lebenslust. Lesen Sie mal ein beliebiges psychologisches Buch. In den meisten Fällen wird es Ihnen anschließend schlechter gehen. Das wäre alles noch nicht so schlimm, ein bisschen Selbstkritik, Demut und Bescheidenheit hat noch niemandem geschadet. Doch mit der Theorie ist die utopische Versprechung verbunden, man könne diesen prachtvoll ausgemalten Zustand psychischer Gesundheit – psychische Ausgeglichenheit, aber dennoch emotionale Schwingungsfähigkeit, selbstgewisse Bestimmtheit, aber dennoch selbstkritische dynamische Veränderungsbereitschaft, gleichzeitiges In-sich-Gehen und Aus-sich-Herausgehen – irgendwann wirklich erreichen.
    Die Risiken und Nebenwirkungen eines solchen

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