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Lebenslust: Wider die Diät-Sadisten, den Gesundheitswahn und den Fitness-Kult (German Edition)

Lebenslust: Wider die Diät-Sadisten, den Gesundheitswahn und den Fitness-Kult (German Edition)

Titel: Lebenslust: Wider die Diät-Sadisten, den Gesundheitswahn und den Fitness-Kult (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Lütz
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Kriterium der Gesundheit auf. Auf diesem aussichtsreichen Weg werden wir am ehesten der Lebenslust auf die Spur kommen. Zweifellos wäre das auch der Weg des Hippokrates gewesen, des griechischen Urvaters der Medizin. Nicht die Krankheit, sondern der kranke Mensch stand für ihn im Vordergrund. Der Hausarzt hätte sich bei seiner Definition übrigens getrost auch auf einen Geistestitanen der Neuzeit berufen können. Friedrich Nietzsche definierte: »Gesundheit ist dasjenige Maß an Krankheit, das es mir noch erlaubt, meinen wesentlichen Beschäftigungen nachzugehen.«
    3. »Über die Verborgenheit der Gesundheit«
    Zugegeben, das ist zunächst ein ziemlich mageres Ergebnis unserer Bemühung um begriffliche Klarheit bezüglich der Gesundheit. Es ist eigentlich mehr ein Rezept, wie man mit dem Zustand bleibender theoretischer Unklarheit praktisch klarkommen kann. Doch die Weisheit des Hausarztes hat gegen den allgemein überkochenden Gesundheitstrubel keine Chance. Während man seinen wesentlichen Beschäftigungen nachgeht, werden einem ungefragt öffentlich und privat so viele Diagnosen über Krankheiten angeboten, die man vielleicht haben könnte, wenn man sich nur richtig untersuchen lassen würde, dass jeder Widerstand zwecklos ist. Nur so sicherheitshalber lässt man mal eine Untersuchung machen, das kann ja nicht schaden. Weit gefehlt! Wenn man sich allzu intensiv mit bestimmten Diagnosen befasst, kann man die Krankheit bekommen, für die die Diagnose da ist. Man nennt das den Effekt einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Sinn der Diagnose ist schon nach Aristoteles ausschließlich die Therapie von leidenden Menschen. Nichts gegen vernünftige Prophylaxe und Früherkennung. Aber wer Menschen, die an nichts leiden, leichtfertig Diagnosen aufschwätzt, treibt Missbrauch und schafft Unglück. Es handelt sich dabei um eine Modifikation der »Methode Laurel und Hardy«: Laurel geht die Straße entlang und wirft Scheiben ein, während Hardy unmittelbar anschließend dienstbereit als Glaser vorbeischaut. Diagnostikangebote für Gesunde erfreuen sich inzwischen höchster Beliebtheit. Der Markt boomt. Schon ist davon die Rede, die häufigste Krankheit sei die Diagnose. Und Aldous Huxley schrieb vor Jahrzehnten den prophetischen Satz: »Die Medizin ist so weit fortgeschritten, dass niemand mehr gesund ist.«
    Das lenkt uns zur Eingangsfrage zurück: Sind Sie wirklich sicher, dass Sie jetzt im Moment gesund sind? Gewiss, Sie waren letzte Woche bei Ihrem Arzt. Aber hat er eigentlich eine Darmspiegelung veranlasst? Sie wissen, dass man die frühesten Formen von Darmkrebs nur so aufspüren kann. Wurde ihre gesamte Hautoberfläche sorgfältig kontrolliert? Sie wissen, eine der gefährlichsten Krebssorten beginnt mit zunächst langsam wachsenden, kleinen braunen Hautpünktchen. Sie wollen keine weiteren hilfreichen Hinweise? So geben Sie also zu, dass Sie nicht genau wissen, ob Sie gerade im Moment gesund sind? Dann will ich Sie auch nicht weiter quälen. Aber Sie müssen wenigstens eines eingestehen: Es fördert die Lebenslust nicht gerade unermesslich, sich allzu intensiv mit der Gesundheit zu befassen.
    Fassen wir also zusammen: Gesundheit gilt zwar allgemein als höchstes Gut in unseren Gesellschaften. Doch niemand weiß genau, was das ist. Gesundheit ist nicht normal, ist durch Untersuchungen nicht nachweisbar, ein Definitionsversuch durch die Weltgesundheitsorganisation ist gescheitert, Gesundheit ist nicht feststellbar wie eine Krankheit und daher auch nicht herstellbar, denn herstellbar ist nachweislich nur etwas, was hinterher zumindest feststellbar ist. Man gewinnt fast den Eindruck: Gerade dann, wenn man der Gesundheit zu nahe tritt, entweicht sie ins Unwägbare.
    »Über die Verborgenheit der Gesundheit« nannte daher auch Hans-Georg Gadamer ein kleines Bändchen, in dem er seine Einsichten zum Thema gegen Ende seines Lebens zusammengefasst hat. Hans-Georg Gadamer (†2002) wusste, wovon er sprach, denn er war damals Deutschlands bekanntester Philosoph und wurde immerhin über hundert Jahre alt. Im Gegensatz zum allgemeinen Volksglauben, alte Leute seien besonders krank, wissen Hausärzte sehr genau, dass sehr alte Leute zumeist ungewöhnlich gesund sind. Denn nur, wenn man sehr gesund ist, wird man so alt. Hans-Georg Gadamer bezog sich vor allem auf Einsichten der Griechen, und die hielten die Gesundheit für ein Geheimnis, für eine geradezu göttliche Kraft, die in jedem Menschen von sich heraus wirkt. Sie

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