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Lebenslust: Wider die Diät-Sadisten, den Gesundheitswahn und den Fitness-Kult (German Edition)

Lebenslust: Wider die Diät-Sadisten, den Gesundheitswahn und den Fitness-Kult (German Edition)

Titel: Lebenslust: Wider die Diät-Sadisten, den Gesundheitswahn und den Fitness-Kult (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Lütz
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unterscheiden sie sich vor allem dadurch, dass man sie sich selbst ausgesucht hat und dafür kein Geld bekommt, sondern Geld bezahlt. Bei anderen Urlaubsformen kann man sein Ich bei einem so genannten Animateur abgeben, der einem zwar nicht die Seele einhaucht, wie sein Berufsetikett eigentlich verheißt, aber zuverlässig »Spaß« organisiert, dass einem Hören und Sehen vergeht. Da »vergeht« für weniger anspruchsvolle Gäste »die Zeit wie im Flug«. Es soll Menschen geben, die sich bei derlei Kurzweiligkeiten nach der guten alten Langeweile sehnen – sich das aber nicht so recht zu sagen trauen. Außerhalb des Urlaubs findet die Großwildjagd auf freie Zeit zwischen Dienstschluss und Schlafengehen statt. Baumärkte schießen aus dem Boden und kein Reihenhaus kommt ohne Hobbyraum aus, wo der Vater nach getaner Arbeit – weiterarbeitet, nur nennt er das eigenartigerweise nicht so. Der Arbeitsgesellschaft geht nämlich nicht die Arbeit aus, sie verlagert sich bloß – in den Hobbyraum. Hier soll nun gegen solchen Ausgleich gar keine generelle Polemik betrieben werden. Die Arbeit im Hobbyraum ist zweifellos gegenüber der in der Regel fremdbestimmten Erwerbsarbeit ein Unterschied, der einen Unterschied macht, sie ist nämlich selbst bestimmt. Dennoch ist die Zeit weg. Und zwar für Arbeit. Unter dem Tarnbegriff »Freizeit«. Und auf solche Weise geht der Freizeitgesellschaft inzwischen ausgerechnet die Zeit aus. Denn eine boomende Freizeitindustrie vertreibt jede Leere, die einen »horror vacui« aufkommen lassen könnte. So ist man rund um die Uhr beschäftigt.
    Diese Entwicklung hängt möglicherweise damit zusammen, dass die »Freizeit« nie ein eigenes Selbstbewusstsein entwickeln konnte. Denn sie war immer schon die kleine Schwester der Arbeit. »Freizeit« definiert sich nämlich von der Arbeit her, es ist Zeit, die frei ist von Arbeit. Damit ist die Freizeit eine Zeit zweiter Klasse. Kein Wunder, dass sie sich inzwischen redlich darum bemüht, den Adel der Arbeit zu erwerben. Man darf wohl sagen: Es ist ihr vollauf gelungen. Das ist der eigentliche Triumph der Arbeitsgesellschaft: Alles ist Arbeit, sogar die Freizeit. Der große Soziologe Max Weber hat darauf hingewiesen, dass in vom calvinischen Arbeitsethos geprägten Ländern die Worte für Arbeit einen sakralen Charakter haben. »Beruf« sagt man im Deutschen. Und das kommt von »Berufung«. Es klingt etwas übertrieben, dass man zum Leeren einer Mülltonne »berufen« sein soll. Auch Buchhalter ist man in den seltensten Fällen aus »Berufung«. Dennoch, beides sind »Berufstätigkeiten«. Sogar bei sprachlichen Neubildungen ist die Arbeitsfixierung ungetrübt. Hilfsbedürftigen Menschen wird nicht mehr »Fürsorge«, sondern »Sozialarbeit« zuteil, es gibt Angehörigenarbeit, Behindertenarbeit, Jugendarbeit, Altenarbeit, Trauerarbeit. Italiener, denen die deutsche Mentalität bisweilen etwas fremd ist, vermuten heimlich, dass die Deutschen nur mit Bedauern schlafen – und richtig, sogar da arbeiten sie noch. Der Begriff »Traumarbeit« ist eine deutsche Sprachschöpfung.
    Noch schlimmer als »Freizeit« ist aber der Begriff »Erholung«. Man sollte sich streng weigern, sich zu erholen. Denn wofür erholt man sich eigentlich? Natürlich für die Arbeit. Diese Zeit hat von vornherein einen ausdrücklich vorgeschriebenen Zweck. In Arbeitsverträgen steht auch heute noch die empörende Formulierung, dass der Arbeitnehmer seinen Urlaub zur Wiederherstellung seiner Arbeitsfähigkeit einzusetzen hat. Wo kämen wir denn da hin! Was hat der Arbeitgeber denn, bitte schön, im Urlaub zu suchen? Hier entlarvt sich die Arbeitsgesellschaft sogar als hemmungslos totalitär. Offensichtlich geht man nach wie vor paternalistisch davon aus, dass der Arbeitgeber allzuständig ist für das Leben seiner Lohnabhängigen. Noch nicht einmal die Gewerkschaften protestieren gegen solche verbalen Ausfälle. Eine angemessene, freiheitlich demokratische Formulierung würde lauten: Der Arbeitgeber hat die Arbeit so zu organisieren, dass der Arbeitnehmer seine freie Zeit lustvoll leben kann. Niemand fordert allerdings so etwas und das zeigt, wie unangefochten die Arbeitsgesellschaft auch über die Freizeit herrscht. In ihren Verliesen aber schmachtet die Lebenslust.
    2. Sinnvolle Muße
    Frauenstimme aus der Küche Richtung Wohnzimmer: »Was tust du gerade?« Antwort: »Ich sitze.« – »Schaust du gerade Fernsehen?« – »Nein, ich sitze.« – »Liest du gerade ein

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