Lee, Sharon & Miller, Steve - Liaden 1 - Eine Frage der Ehre V2
andere Frau kehrt und stapfte davon, den Kopf gesenkt, die Schultern gebeugt, ein stummer Protest gegen die niedrige Decke.
Priscilla wandte sich in die entgegengesetzte Richtung – wo der Raum des Händlers lag –, auch sie zog den Kopf ein wenig ein. Sie war kleiner als eine durchschnittliche Terranerin, und die Decke lag gut drei Zoll über ihrem Lockenschopf; doch offenbar hatte die Daxflan etwas an sich, das eine Art Demutshaltung förderte.
Blödsinn, ermahnte sie sich resolut und bog am Shuttlehangar um die Ecke.
Aber es handelte sich keinesfalls um Einbildung. Alles, was Shelly gesagt hatte, stimmte – und die Liste war noch längst nicht vollständig. Auf der Daxflan galten Terraner als Besatzungsmitglieder zweiter Klasse; ihre Quartiere lagen hinter den Frachträumen, und die fast kalten Mahlzeiten wurden in einer Cafeteria serviert, die man notdürftig in einer ehemaligen Vorratszelle eingerichtet hatte. Der Händler sprach überhaupt kein Terran, obwohl der Captain, eine Frau, ein paar Brocken beherrschte; ihre Befehle schnauzte sie in einem abgehackten Trade, das sie nicht mit überflüssigen Feinheiten wie »bitte« und »danke« auszuschmücken gedachte.
Priscilla seufzte. Sie hatte zusammen mit Liaden auf anderen Handelsschiffen gedient, aber noch niemals auf einem Liadenschiff. Nun fragte sie sich, ob die Zustände überall gleich waren. Ihr fielen wieder Shellys Worte ein, die geschworen hatte, nie wieder auf einem Liadenschiff anzumustern. Allerdings hatte auch Shelly sich in die Bedingungen gefügt, bis im vorletzten Anlaufhafen der Heiler von Bord gegangen war und von einem simplen robotischen Medkit ersetzt wurde. Angeblich sollte diese Einschränkung nur vorübergehend sein. »Noch mehr Liadenlügen!«, hatte sie sich ereifert. »Alle Liaden sind Lügner. Ausnahmslos!«
Der Erste Maat war ein Gauner, der Zweite Maat ein Filou -was immer Shelly unter diesem Begriff verstand. Aber der eine war Liaden und der andere Terraner; trotzdem glichen sie sich so sehr, als hätten sie ein und dieselbe Mutter.
Vielleicht, dachte Priscilla, stellte der Händler nur einen ganz bestimmten Personentyp ein. Sie fragte sich, was das wohl über Priscilla Mendoza aussagte, die so begierig nach einem Pöstchen als Frachtmeister war, dass sie blindlings zugegriffen hatte, als sich ihr die Chance bot. Doch, sie war ganz erpicht darauf gewesen, die Stelle zu bekommen. In nur zehn Jahren war sie von einer Provianttechnikerin – ein euphemistischer Ausdruck für Küchenhilfe – zum Mitglied der allgemeinen Crew aufgestiegen, und dann wurde sie für das Verladen der Fracht zuständig. Eines der Ziele, die sie anstrebte, war der Erwerb der Pilotenlizenz, doch solange sie auf der Daxflan diente, durfte sie sich diesbezüglich keine Hoffnungen machen.
Der Raum des Händlers war abgeschlossen; als sie eine Hand auf die Meldetafel drückte, ertönte keine Stimme, die sie bat einzutreten. Nun ja; daran ließ sich nichts ändern. Sie schüttelte den Kopf, als die 11.00 Uhr Glocke läutete. In dieser Freischicht würde sie nicht viel schlafen.
Sie beschloss, sich an den Captain zu wenden. Durch den Gang marschierte sie weiter in Richtung Brücke, blieb jedoch stehen, als sie zu ihrer Rechten Stimmen hörte – ein Mann brüllte wütend, dazwischen die besänftigenden Töne einer Frau.
Priscilla steuerte auf die Stimmen zu, während Shellys Umschlag schwer in ihrer Hand wog.
Die Tür zu der Liaden-Lounge stand offen. Verächtlich schleuderte Sav Rid Olanek seiner Cousine, Captain Chelsa yo’Vaade, ein Blatt Papier entgegen.
»Abgelehnt!«, kreischte er in der Hochsprache, wobei seine Stimme sich vor Erregung überschlug. »Wie können sie es wagen! Wenn ich mein ganzes Leben lang diesen Finger frei gehalten habe, nur um den Ring eines Meisters des Handels tragen zu können!« Er fuchtelte mit seinen, juwelenüberladenen Händen vor Chelsas Nase herum, die blinzelte und unbewusst die verschiedenen Schmuckstücke ihres Vetters katalogisierte: ein Ring, der seine familiäre Abstammung verriet, mehrere Ringe, die die diversen Schulen kennzeichneten, die er besucht hatte, ein Clan-Ring und dazwischen ein ganzes Sammelsurium funkelnder Kleinodien, die für Sav Rids Melant’i weniger wichtig waren.
»Es heißt doch, du könntest die Bewerbung wiederholen, Cousin«, versuchte sie zögernd abzuwiegeln. »Du brauchst nur ein Standardjahr zu warten.«
»Bah!«, donnerte Sav Rid. »Meine Bewerbung wiederholen? Die können
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