Leerer Kuehlschrank volle Windeln
soll, frage ich mich heute noch. Er zeigte mir noch viele weitere digitale Gimmicks: ein Mini-Programm, welches nervende Geräusche aus dem Handy ertönen lässt, wie zum Beispiel das Kratzen mit dem Fingernagel an einer Schultafel oder das Surren eines Moskitos; einen »Grill-Simulator«, auf dem das virtuelle Steak professionell auf dem Rost hin- und hergeschoben werden muss; Apps, die virtuelle Biergläser, Zigarren, Feuerzeuge und eine Mundharmonika simulieren sollen. Seine momentane Lieblings-App ist ein Kuss-Simulator, der angeblich anzeigen soll, wie gut man küssen kann. Zum Beweis presste mein Kollege voller Inbrunst seine wulstigen Lippen auf den Touchscreen. Als er auf den verschnodderten Bildschirm guckte und dort las MISERABLER KÜSSER , seufzte er enttäuscht: »Muss kaputt sein. Letztens stand da noch, ich hätte James-Dean-Qualitäten.«
Zu guter Letzt – kurz vor dem Einparken am Zielort – durfte ich noch eine digitale Taschenlampe bewundern. Die fand ich wirklich mal sinnreich. Vor allem nach meinem Stromausfall-Erlebnis.
Was mich am meisten an den Smartphones stört, ist die Tatsache, dass die persönliche Kommunikation auf der Strecke bleibt, seit es diese Dinger gibt.
Jetzt sitzen wir zu dritt beim Frühstück – und zwei haben nichts Besseres zu tun, als Neuigkeiten auszutauschen in Form von Dauerstarren auf ihre iPhones, auf denen sie unaufhörlich hin und her wischen, tippen, touchen, tappen, swipen, zoomen und sliden. Smartphones sind die neue Präsentationsmöglichkeit für »Mein Haus, mein Auto, mein Pferd, meine Yacht und meine Frau«.
Meine Kumpels zeigen sich gegenseitig und mir ihre Entwicklung, Erlebnisse und Investitionen der letzten Monate in Form einer Unmenge von Fotos, die sie vergrößern und verkleinern, zuweilen auch schnell weiterschieben, weil zu intime Details darauf sind. Es ist heutzutage normal, die privatesten und absurdesten Situationen als Foto festzuhalten, um sie anschließend per App über Twitter und Facebook zu verbreiten. In Kombination mit Facebook wird das iPhone zu einer richtigen Nervensäge. Alle paar Minuten wird nachgeguckt, ob inzwischen wieder irgendjemand, irgendwo, irgendwas gepostet hat. Dinge, die man nicht mal seinem Friseur erzählen würde, landen auf virtuellen Pinnwänden, wo sie alle, selbst Hinz und Kunz und deren unbekannte Bekannte sehen können.
Entzieht man sich diesem speziellen Kosmos, ist man fast schon ein Aussätziger, wird unbewusst ausgeschlossen und nicht mehr mit den aktuellsten Neuigkeiten aus dem Freundes- und Kollegenkreis versorgt. Früher hat man sich auf einen Drink verabredet, mal ein paar Minuten auf dem Flur gequatscht, kurz telefoniert oder eine SMS geschickt – und man wusste Bescheid, wenn es schöne Nachrichten gab: Schwangerschaften, Hochzeiten, spannende Reisen, bestandene Prüfungen, aber auch schwierige Lebenssituationen, in denen Mitgefühl oder Rat gefragt war.
Wie es heute ist, erfahre ich bei unserem Frühstück: »Meine Süße hat jetzt schon sechs Kilo zugenommen. Wahnsinn!«
»Wirklich? Dabei war sie doch immer total schlank und hat viel Sport gemacht«, erwidere ich.
»Ja schon, aber elf, zwölf Kilo sind ja normal.«
»Wie meinst du denn das?«
»Ach du weißt es gar nicht?«
»Ich weiß was nicht?«
»Wir kriegen ein Baby und sind schon im sechsten Monat. Hab ich doch bei Facebook gepostet.«
»Aber ich bin doch nicht bei Facebook!«
»Oje, stimmt ja. Du bist ja einer dieser Hinterwäldler«, lacht mir mein Gegenüber ins Gesicht.
Wahrscheinlich hat er recht mit seiner verbalen Ohrfeige. Nachdem ich nun schon zum gefühlten fünfzigsten Mal gefragt wurde, wieso, weshalb und warum ich nicht bei Facebook bin, muss ich das ändern. Und zwar noch heute. Ich darf nicht mehr so viel verpassen und das Leben meiner Freunde an mir vorbeiziehen lassen. Wenn ich jetzt nicht einsteige, versäume ich womöglich irgendwann meine eigenen Neuigkeiten.
Meine Freunde lassen gut die Hälfte ihres Frühstücks stehen. Kaffee und Rührei, die wegen des exzessiven Herumgetouches auf den Smartphone-Bildschirmen einen Temperatursturz erlebten, schmecken kalt eben nicht. Wir zahlen, verabschieden uns, und ich mache mich voller Tatendrang auf den Weg nach Hause, wo ich mich sofort vor den Computerbildschirm setze.
Facebook, ich komme! Gleich ist es vorbei mit der Unwissenheit! Auf in ein neues Zeitalter!
Das Anmelden geht relativ fix, und ich weiß auch, wie ich meine Privatsphäre einzustellen habe, damit
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