Leg dich nicht mit Mutti an: Roman (German Edition)
haben Sie garantiert ein größeres Blutbad verhindert.« Bedauernd schüttelte sie den Kopf. »Ihnen selber hat es ja leider nicht viel genützt.« Sie steckte mir ein Fieberthermometer ins Ohr, prüfte die Infusionsflasche, kontrollierte den automatischen Blutdruckmesser und ließ mich dann wieder allein.
Ich lag eine Weile wach und ließ die hinter mir liegenden Ereignisse Revue passieren. Gab es überhaupt irgendwas, das nicht schiefgegangen war? Natürlich hätte es auch schlimmer kommen können, aber diese Binsenweisheit munterte mich kein bisschen auf. Man konnte es drehen und wenden wie man wollte – zusammenfassend ließ sich über den vergangenen Tag nur eines sagen: Er war eine einzige Katastrophe.
Durch Weisheit wird ein Haus gebaut und mit viel Geld erhalten.
(Sprüche Salomos, 24.3; abgewandelt)
»Tja, dumm gelaufen«, sagte Leonardo DiCaprio. »Ich hatte dir doch gesagt, du solltest besser das Haus verlassen.«
»Du meinst wohl die Bank. Davon hast du keinen Ton gesagt.«
»Du hättest es selber merken können. Schon dieser Bankdirektor war verdächtig.«
»Er hat eigentlich einen ganz netten Eindruck gemacht.«
»Das sind die Schlimmsten. Und knickrig war er obendrein, sonst hätte er dir den Kredit gegeben.«
»Das war nicht seine Schuld«, widersprach ich. »Er hat nur seine Pflicht getan.«
»Das ist Ansichtssache. Wenn er mit diesem Bankräuber in den Keller zum Tresor gegangen wäre, wärst du jetzt nicht tot.«
»Ich bin nicht tot, ich träume nur. Und es ist wieder dein bescheuerter Traum, nicht meiner.« Ich deutete auf die einstürzenden Hochhäuser im Hintergrund. Diesmal brachen sie mit eigentümlicher Lautlosigkeit zusammen, doch ich traute dem Frieden nicht. Und tatsächlich, unter meinen Füßen fing die Erde an zu beben, und direkt vor mir tat sich ein klaffender Krater auf. Überall um mich herum rutschten Stücke von der Straße in den gähnenden schwarzen Schlund, es folgten Autos, Teile vom Gehweg, schließlich sogar ganze Häuser. Alles fiel in Trümmer und sackte in die gierige Tiefe. Verzweifelt hielt ich mich an einem Laternenmast fest, doch ich spürte bereits, wie der Sog mich erfasste und ebenfalls hinabzureißen drohte. Leonardo saß unterdessen in sicherer Entfernung in der offenen Tür eines über mir kreisenden Helikopters, keine Ahnung, wie er da so schnell hingekommen war.
»Mach, dass dieser blöde Traum aufhört!«, forderte ich ihn auf.
»Tut mir leid, aber es ist dein Traum«, gab er zurück. »Hier bist du selbst der Architekt. Und zwar ein ganz mieser.« Er schaute traurig auf die verwüstete Landschaft um uns herum, die inzwischen bis zum Horizont reichte, während der Teil, der mir am nächsten war, sukzessive in den dunklen Krater stürzte.
»Du lügst!«, schrie ich. »Das ist nicht mein Traum, sondern deiner!«
Er lächelte nur. »Wenn es mein Traum wäre – wieso spielt dann deine Mutter mit?«
»Was soll das? Meine Mutter? Sie ist doch gar nicht hier!«
»Du musst nur die Augen aufmachen, dann siehst du sie.«
Ich weigerte mich, denn ich ahnte, dass er mich damit nur auf eine andere, noch viel schlimmere Traumebene locken wollte.
Doch es war schon zu spät, ich war bereits in einem neuen Albtraum gefangen. »Annabell, Kind, wach auf, ich bin hier!«
»Wer?«, murmelte ich. Eine eingebildete Schlagzeile fing an zu blinken. Leidensdruck zu groß – das Herz machte schlapp.
»Ich bin es! Lieselotte! Deine Mutter!«
Ich wurde schlagartig wach. Es war kein Traum. Sie stand leibhaftig neben meinem Bett.
*
Sie sah blendend aus, braun gebrannt, schlank, optisch mindestens zehn Jahre jünger als ihre dreiundsiebzig. Südamerika war ihr gut bekommen. »Hallo Mutter«, sagte ich matt.
»Annabell, mein armes Kind! Ich bin sofort in den nächsten Flieger gestiegen, als meine liebe Enkelin Sophie mir über Skype die schlimme Nachricht schickte.« Sie beugte sich über mich und küsste mich auf die Stirn. »Ich habe schrecklich um dein Leben gebangt! Meine einzige geliebte Tochter!«
Während ich mich fragte, wieso zum Teufel sie solche schrägen Formulierungen benutzte, bemerkte ich den Typ, der im Hintergrund wartete, vor der Brust eine Digitalkamera vom Feinsten.
»Mutter, wer ist das?«
»Ach, bloß ein netter junger Mann von der Presse. Die Öffentlichkeit hat ein Recht, alles über meine tapfere Tochter zu erfahren.« An den Reporter gewandt, fügte sie hinzu: »Sobald wir die Konditionen geregelt haben.«
Die Schwester kam ins Zimmer
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