Leg dich nicht mit Mutti an: Roman (German Edition)
waren jetzt lauter, aber nicht so laut wie das Geschrei, das von allen Seiten kam.
»Die arme Frau«, schrie jemand. »Guck nur, sie ist tot!«
»Der Kerl hat sie abgeknallt, einfach so!«
»Sie hat überhaupt nichts gemacht, sie lag doch schon auf dem Boden! Dieser miese, gemeine Killer!«
So fühlte es sich also an, wenn man tot war. Man konnte noch die Leute schreien hören, aber nichts mehr fühlen. Obwohl … plötzlich merkte ich wieder etwas. Jemand trat mir auf die Hand. Es tat nicht weh, Schmerzen hatte ich nirgends, aber ich spürte den Schuhabsatz auf meinen Fingern.
Auf einmal konnte ich auch wieder atmen. Erneutes Kreischen, dicht neben mir. »Sie lebt! Sie atmet! O Gott, sie ist nicht tot!«
»Sanitäter!«, brüllte jemand, es klang wie in einem Militärfilm.
»Wo bleibt denn der verdammte Rettungsdienst?«
In meinen Ohren rauschte es, mein ganzer Körper war taub, mein Blickfeld begann sich zusammenzuziehen.
Irgendwer zerrte an mir herum, ich sah eine Menge leuchtendes Orange und weiße Hosenbeine.
»Ich lege den Zugang«, rief ein Mann.
Etwas stach in meinen Arm, und jetzt spürte ich seltsamerweise den Schmerz. Und nicht nur diesen. Wie eine Brandungswelle überrollte es mich, mit einem Mal hatte ich überall Schmerzen, aber am schlimmsten in meiner linken Seite, als würde ich zerrissen.
Klare Sache, ich würde sterben. Sanierungsversuche zwecklos. Manche alten Häuser stieß man besser ab.
Armes altes Haus.
Um mich herum wurde es dunkel und still.
*
Anscheinend war ich doch nicht tot, denn sie brachten mich ins Grey’s Hospital. Ich kannte dort alle und jeden auf der Station, schließlich war ich oft genug da. Sophie und ich ließen keine Folge aus. Wir hatten zusammen geweint, als George O’Malley gestorben war, und wir waren vor lauter Romantik dahingeschmolzen, als Meredith und Derek sich inmitten Tausender Teelichter ihre Liebe geschworen hatten.
Die neueste Patientin in der Notaufnahme war ziemlich übel dran. Kein Wunder, in dieser Folge war ich die Patientin.
»Wir verlieren sie!«, schrie eine von den Assistenzärztinnen. Ich hatte vergessen, wie sie hieß, aber ich erinnerte mich daran, dass sie im Staffelfinale sterben würde. Ein Amokläufer würde sie erschießen. Ein sehr schlechtes Zeichen, dass ich ausgerechnet sie als behandelnde Ärztin erwischt hatte.
Zum Glück erschien gleich darauf Dr. Alex Karev auf der Bildfläche. Seiner Kompetenz konnte ich bedingungslos vertrauen. »Ich brauche hier einen Reha-Wagen!«, befahl er. »Laden auf zweihundert. Und weg!«
Er hatte es geschafft, die Reanimation war erfolgreich. Als ich die Augen aufschlug, beugte er sich über mich und leuchtete mir mit einer Lampe direkt in die Pupillen. Ich kniff die Augen zu und stöhnte.
»Da sind Sie ja«, sagte er. Ich wunderte mich kurz, dass er mit bayerischem Dialekt sprach, es hatte sich angehört wie Do san’s ja , aber dann sah ich, dass er gar nicht Alex war, sondern ein fremder Arzt im grünen Kittel und mit grüner Haube. »Wo ist Doktor Karev?«, murmelte ich. »Wer sind Sie?«
»Ich bin der Narkosearzt«, sagte er. »Wir bringen Sie jetzt in den OP .«
Die Umgebung begann zu verschwimmen, ich wurde durch die Gegend gerollt.
»Ich will von Doktor Miranda Bailey operiert werden«, flüsterte ich.
»Ich fürchte, die hat gerade keinen Dienst.«
»Dann von Doktor Owen Hunt. Er ist Traumatologe.«
Der Arzt klang irritiert. »Sind Sie mit dem Personal bekannt?«
»Ich kenne das ganze Team«, sagte ich mit schwacher Stimme. »Auch Doktor Webber, den Chefarzt.«
Hilfesuchend blickte der Arzt über seine Schulter. »Ist der neu oder was? Und wer sind die anderen?«
»Das sind lauter gut aussehende, wahnsinnig tüchtige Ärzte aus dem Fernsehen«, erklärte eine weibliche Stimme.
»Sie ist high, von dem ganzen Zeug, das sie vom Rettungsteam gekriegt hat«, sagte eine andere Stimme.
»So ein Pech«, sagte der Narkosearzt. »Wir haben hier leider bloß die stinklangweilige Reality-Show.«
Über mir schwankte die Decke, viele große stumpfgraue Vierecke mit hässlichen Neonröhren, kein Vergleich zu der kapitalstarken Beleuchtung in der Bank. Ich hörte das Piepen von Geräten, aus den Augenwinkeln sah ich blinkende Monitore, und überall waren grünlich vermummte Gestalten. Es roch stechend nach Desinfektionsmitteln, und es war eiskalt.
»Es kann losgehen«, sagte jemand von der Seite.
»Zählen Sie mal bis zehn«, befahl der Narkosearzt schräg hinter meinem
Weitere Kostenlose Bücher